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Maler und Mädchen - Maler und Mädchen

Titel: Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
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Weise miteinander verwandt. Als dem schlafenden Simson das Ende eines glühenden Stabs in die Augen gedrückt wurde, erst in das eine, dann in das andere, träumte er gerade, er läge noch immer mit dem Kopf im Schoß der Frau, in die er heftig verliebt war. Als der rechtschaffene Tobit eine Ladung Spatzendreckabbekam, lag er mit offenen Augen unter einem Baum und dachte an Gott.
    »Hier, bitte«, sagten sie, den Zeigefinger auf der Skizze. »Ein Mann, der große Entscheidungen trifft, muß ganz besonders gut sehen können. Das hat Ihr verstorbener Kollege trefflich verstanden. Man kann einen Anführer mit einer Augenverletzung auch im Profil darstellen.«
    Er hatte höflich die geschlossene mandelförmige Linie eines starrenden Auges betrachtet.
    »Schade. Das geht so nicht.«
    Die Regenten wechselten Blicke und entschieden. Die Demütigung war beschlossene Sache. Er war unterdessen in Gedanken bei seinem Vater, der in den letzten Jahren vor seinem Tod erblindet war.
    Die Erinnerung stammte von einem Wintertag, als er mitten am Vormittag seine Pinsel abgewischt und seine Hauspantoffeln gegen ein Paar Schuhe gewechselt hatte, weil er plötzlich meinte, er sollte seinen alten Vater jetzt, da es noch möglich war, häufiger besuchen. Er war Anfang zwanzig, wohnte und arbeitete aber bereits in einer eigenen Wohnung. An jenem Tag wehte ein eisiger Wind. Leiden ist eine dicht bebaute Festungsstadt, doch an jenem Vormittag schien der Wind in einer einzigen, nicht abreißenden Bö geradewegs vom Pol durch alle acht Tore zugleich zu blasen. Über dem Galgewater flogen wie immer unzählige kreischende Möwen. Weiße Raubtiere, auf der Jagd nach Nahrung, egal, ob lebend oder tot. Er sah sie hart über die eingefrorenen Schuten schießen. Beim Haus im Weddesteeg angelangt, gelang es ihm erst durch einen Stoß, die klemmende Haustür zu öffnen. Da ertönte, gleichzeitig mit dem Kreischen des Holzes, ein Schrei aus dem Dunkel. Im nächstenMoment sah er seinen Vater, aufrecht in der lediglich vom Herdfeuer erleuchteten Küche, mit tastenden Armen auf sich zukommen. Die Augen in dem vom Feuer abgewandten Gesicht waren schwarz. Sie waren flehend, ratlos genau neben die Stelle gerichtet, an der er stand.
     
    Die Fackeln flackerten. Der Vorsitzende der Kommission, einer der Bürgermeister, hatte ihm mitgeteilt, was sie zu ihrem Bedauern nicht umhingekommen waren zu beschließen. Drei von ihnen hatten ihn daraufhin mit einer Handbewegung gegrüßt und sich über die Galerie von dannen gemacht. Der vierte leistete ihm, von einem Hustenanfall festgehalten, noch kurz Gesellschaft, eifrig mit seinem Taschentuch hantierend.
    Das irritierte ihn.
    »Einen Schluck Bier bekommt man da unten!«
    Der Mann nickte, drehte ihm jedoch lediglich den Rücken zu und gab seine Tränen und Atembeklemmung voll dem Gemälde preis.
    Folglich nahm der Maler nicht weiter von ihm Notiz, schüttelte den Kopf und ging, ohne sich noch ein einziges Mal nach der perspektivisch vollkommenen Komposition umzusehen. Die echte Wand und der echte Fußboden darunter waren nichts weiter als Stichwortgeber für eine andere Architektur. Was in dieser anderen Architektur geschah, ein viele Jahrhunderte zurückliegendes Ereignis aus der nationalen Geschichte, fand aus einem blendenden Helldunkel subtil und ganz von selbst den Weg ins Hier und Jetzt: Niederländer sind treu, zuverlässig, fromm, unternehmungslustig, offen, geradeheraus, ehrlich, rebellisch, kaltblütig, unbeugsam und erschreckend kampflustig.

3
Die auf dem Kopf stehende Stadt
    Verstimmt durch das Glockengeläut und nicht willens, sich auch nur in Gedanken damit zu befassen, ging er den Nieuwezijds Achterburgwal entlang, ein Straßenname, der einige Jahrhunderte später vom Stadtplan verschwunden sein würde, jetzt aber noch für eine breite Wohngracht mit einer Uferbefestigung bis zum Hafen stand. Wie überall in der Stadt wurde hier wieder einmal gegraben und Schlamm weggekarrt. Arbeiter waren dabei, mittelgroße Pfähle in den Boden zu rammen, sie taten das mit Hilfe einer Marie, eines Pfahls mit einem Hohlraum, den sie quer auf das obere Ende eines senkrechten Exemplars setzten und an den sie sich dann mit sechs Mann hängten und zogen. Wegen des Lärms der Glocken verrichteten sie ihre Arbeit mürrisch und schweigend, normalerweise hätten sie, um im Rhythmus zu bleiben, in allen möglichen Variationen ein Lied gesungen, das mit den Worten begann: Runter! Runter! Runter, Marie!
    Vor dem Geschäft, in dem
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