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Maler und Mädchen - Maler und Mädchen

Titel: Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
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er Stammkunde war, blieb er gewohnheitsgemäß stehen und spähte eine Weile ins Schaufenster. Waffen, Skulpturen, zu Stein gewordene Tiere, die als Art schon seit Jahrtausenden nicht mehr existierten, toter als tot, die man aber trotzdem in die Hand nehmen, betrachten und, wenn man bei Kasse war, als Besitz erwerbenkonnte. Sein Blick blieb an ein paar Büchern auf einem Tisch direkt hinter dem Fenster hängen. Hebräische, portugiesische und lateinische Titel. Handelten alle von Gott. Nach den Worten seines Sohnes war vor einer Weile ein gelehrter Jude in dieser Stadt herumgelaufen, der mit guten Argumenten behauptete, Gott sei die Summe all dessen, was existiert und geschieht.
    »Also einschließlich meiner Zahnschmerzen?« hatte er verdrießlich gefragt, denn das Thema war zu einem Zeitpunkt zur Sprache gekommen, als es in seinem Kiefer zu pochen begann, wahnsinnig vor Schmerzen würde er erst einige Stunden später werden.
    Sein Sohn, schnell von Begriff, schnell von Gefühl, hatte ihn erschrocken angesehen. Sie kannten einander. Sie kannten einander so gut, daß, wenn der Vater seine Zahnschmerzen erwähnte, sie sich beide sofort darüber im klaren waren, daß Zahnschmerzen Zahnschmerzen sind, aber auch etwas Skandalöses, etwas Unerträgliches, das zu den Dingen gehört, die es in einer ordentlichen Schöpfung nicht hätte zu geben brauchen. Der Sohn sah seinen Vater düster an. Der schwere Tod, den seine Stiefmutter gestorben war, voller Protest, sie wollte nicht sterben, lag da erst wenige Monate zurück.
    Die beiden hatten ihr Gespräch im Stehen in der Küche begonnen, an einem unfreundlichen Herbstabend gegen elf.
    »Einschließlich deiner Zahnschmerzen.«
    Der Sohn, der die zweite Frau seines Vaters bedingungslos geliebt hatte, stellte eine Flasche Korn auf den Tisch.
    »Probier den mal.«
    Der Maler und sein Sohn hatten sich einander gegenüber an den Tisch gesetzt. Es war sehr still im Haus gewesen, derRegen hatte für den Moment aufgehört, das Töchterchen und das Dienstmädchen waren bereits im Bett. Der Sohn, vor einer Viertelstunde nach Hause gekommen und noch immer in seinen Mantel gehüllt, hatte mit hochgezogenen Schultern weiter von dem geheimnisvollen Gespräch erzählt, in das er in einer Kneipe am Zeedijk geraten war.
    »Diese Kneipe gleich um die Ecke? Zum Storchen?«
    Ein stechender Schmerz. Der Maler warf den Kopf zurück und kippte den Schnaps hinunter.
    »Ja. Geht’s?«
    Als Antwort wischte sich der Maler mit dem Handrücken über den Mund. »Halleluja!« fluchte er zwischen den Zähnen und mit zugekniffenen Augen. Nach einer Pause beugte er sich über den Tisch und sah seinen Sohn interessiert an.
    »Mit wem hast du denn da gesessen?«
    »Mit zwei Männern, Stammgästen. Sie haben anschreiben lassen.«
    Sein Sohn schenkte ihm noch einmal ein.
    »Und einer von denen war dieser gelehrte Jude?«
    »Nein, sie erzählten, daß der zur Zeit in Rijnsburg wohnt. Aber sie hatten ihn erst vor kurzem getroffen, hier in der Stadt, bei irgendeinem ehemaligen Jesuiten, einem Familienvater, der jetzt fünf Kinder hat, und sie wußten noch ziemlich genau, was er alles gesagt hat.«
    Der Maler fragte, um zu fragen. Der Schmerz begann sich zu mäßigen, wie ein Hund, der sich in seine Hütte verkriecht, doch darauf verlassen konnte man sich nicht.
    »Was denn?«
    Während er sich berichten ließ, was die Stammgäste von den Worten des Juden weitergegeben hatten, hörte er, wie draußen Wind und Regen wieder zunahmen. Die Bibel seikeine Quelle exakten Wissens, sondern eine Sammlung von zweitausend Jahre alten Geschichten. Er nahm die Flasche, meinte: »Gut gesagt!« und hob den Kopf. Irgendwo klopfte es. An der hinteren Hauswand, rechts, mochte sich ein Stück der Regenrinne verschoben haben, falls dem so war, hatte sich jetzt das Fallrohr gelöst.
    »… und er hat auch behauptet, sagten sie, daß man alles, wonach sich ein Mensch im Leben sehnen kann, mit einer ganz einfachen kleinen Zeichnung darstellen kann, einer der banalsten geometrischen Formen, die es gibt, dem gleichseitigen Dreieck. Die drei Linien, hatte er gesagt, sind die drei größten menschlichen Leidenschaften. Während er diese Linien in die Luft malte, hatte er die Leidenschaften auch genau benannt, aber sie hatten wegen des Alkohols nur eine behalten, die Basis. Nun ja, das war aber auch die wichtigste.«
    Aus dem Klopfen war ein Reiben von Holz an Stein geworden. Der Maler war aufgestanden, hatte die Zwischentür geöffnet und war
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