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Maler und Mädchen - Maler und Mädchen

Titel: Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
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gerichtet, den Anführer, der auftragsgemäß den allerersten niederländischen Widerstandskämpfer hätte darstellen sollen, wie er in einem nächtlichen Wald eine Verschwörung gegen die Römer anzettelt.
    Die Stimme klang leise, aber empört, als habe der Mann nur mit Mühe sein »gottverdammt noch mal« hinuntergeschluckt.
    »Sieht aus wie irgend so eine heidnische Version von Jesus beim Letzten Abendmahl.«
    Daraufhin hatte der Maler gespürt, wie sie sich entspannten. Wie den anderen klar wurde, daß sie also richtig gesehen hatten. Alle vier schauten jetzt vom Gemälde zu ihm, doch er sagte nichts, nickte nur unbestimmt. Die Demütigung nahte, war aber noch abstrakt. Hatte noch nicht die Gestalt eines normalerweise für den Transport von Bier verwendeten Pritschenwagens angenommen, der mit viel Lärm die Rozengracht entlanggerollt kommt und vor Haus Nummer 184 anhält. Das würde erst einige Tage später geschehen.
    Noch bevor an die Tür geklopft wurde, würde seine Frau sie öffnen.
    »Ach, du meine Güte! Sie haben es schon gebracht!«
    Er und sie würden sich auf halber Treppe entgegenlaufen, er vom ersten Stock, wo er am Arbeiten war, sie von der offenen Haustür, durch die man auf der Straße das Pferd sehen konnte, den leeren Bock und ein Stück der peinlichen, bis zur Deichsel nach vorn geschobenen Ladung, ein nachlässig gerolltes fahlgraues Ding, zusammengeklappt zu ein paar Metern Durchmesser.
    Noch nicht. Stand noch nicht mal zur Debatte. Die fahlgraueRolle hing in diesem Moment noch prächtig ausgebreitet, sämtliche Farben nach außen, an einem der ehrenvollsten Orte, an denen sie nur hängen konnte. Eigentlich zweite Wahl, stimmt, aber trotzdem. Unterdessen brachte die Kommission kritische Bemerkungen über den wüsten Stil des Werks vor, Argumente, die ganz gewiß relevant waren, seinem Schöpfer jedoch nur ein Lächeln entlockten – dies ist, verflixt noch mal, meine beste Gruppe, besser noch als die Schützen, die jetzt doch schon an die zwanzig Jahre ohne nennenswertes Genörgel in De Doelen hängen!
    Sein Lächeln wirkte irritierend.
    »Ein Pinsel ist kein Hackebeil«, tönte es böse.
    »Manchmal schon«, sagte der Maler.
    »Das ist einfach so hingeschludert.«
    Der Maler verneigte sich.
    Einer der Bürgermeister öffnete nun eine blaßgrüne Mappe, nahm eine Zeichnung heraus und wollte ihm die reichen. Doch der Maler rührte keinen Finger.
    Er kannte den Entwurf, das wußten sie doch.
    Als das Rathaus acht Gemälde benötigte, um lauthals zu verkünden, wir, die Bataver, hätten seinerzeit Cäsar glatt besiegt, ging der Auftrag an einen seiner ehemaligen Schüler. Ein außerordentlich geschickter Bursche und, wenn es nach den Amsterdamern ging, zu diesem Zeitpunkt genauso berühmt wie der Grieche Apelles, der Maler aller Maler, von dem niemand je ein Werk gesehen hatte oder je sehen würde, sie bestanden lediglich in Worten. Doch welches Talent ist einer solchen Herausforderung gewachsen: acht Gemälde zu malen, die einem, zusammengenommen, die Möglichkeit eines grandiosen Lebenswerks vorgaukeln, ein für allemal? Und tatsächlich, die vorbereitenden Skizzen waren nochnicht fertig, da starb der Glücksvogel, unklar, woran genau, vielleicht aber doch an mangelndem Talent.
    Die Demütigung, nun sehr nahe, war unvermeidlich geworden, als die Diskussion sich dem Auge, dem fehlenden Auge des batavischen Widerstandskämpfers zuwandte.
    »So ein abscheulicher Spalt«, murrte einer.
    »Ja, so eine Verstümmelung, mitten im Gesicht!«
    Der Blick des Malers wurde lebhafter. Wenn er an irgend etwas mit faszinierter Zufriedenheit denken konnte, dann an diese leeren Augenhöhlen, die Blinden und Einäugigen, die seine Leinwände und Holztafeln und Kupferplatten fast zwanghaft schmückten.
    »Dieses Auge, ja …«
    Zustimmend blickte er noch einmal hinauf zu der breiten, doppelten Kruste eines zugenähten Augenlids.
    »Scheint er verloren zu haben. Ich nehme an, Sie wissen das, Tacitus ist da sehr deutlich.«
    Sie nickten, hielten ihm die Skizze seines ehemaligen Schülers unter die Nase und sagten, ein sachkundiger Maler verfüge über andere, eigene Möglichkeiten. Er starrte sie abwesend, leicht schwindlig im Kopf an. Gerade waren ihm zwei glänzende Fälle von Blendung in den Sinn gekommen, Themen, denen er bereits einige sehr gelungene Bilder gewidmet hatte. Die Begleitumstände jener beiden alttestamentarischen Vorfälle, erkannte er nun plötzlich, waren auf höchst verabscheuungswürdige
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