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Malchatun

Titel: Malchatun
Autoren: Johannes Tralow
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Wünsche und Ziele, letztlich ihre Persönlichkeit.
    Darüber kann auch die titelgebende weibliche Hauptperson nicht hinwegtäuschen: Malchatun greift zwar auf ihre Art, als Arzt, als politischer Ratgeber und als Osmans Gattin, in zahlreiche Situationen ein, wirkt aber, wie viele von Tralows Frauengestalten, in erster Linie mit Hilfe des erotischen Spannungsmomentes auf ihre Umgebung ein, ja prägt sie auf ihre Weise sogar um; aber sie ist folgerichtig doch keiner der politischen Hauptakteure. Zweifellos spielen persönliche Sympathien mit, wenn Tralow der Frau in seinen Werken einen besonders breiten Raum einräumt. Aber er forscht auch aus objektivem Interesse immer wieder nach der Rolle der Frau in der Geschichte und will zweifellos eine Art ausgleichender Gerechtigkeit üben, wenn er zum Beispiel im Roman »Aufstand der Männer« den Hintergründen von Patriarchat und Matriarchat nachspürt. Sexualpsychologische Partien sind auch in »Malchatun« nicht selten, wie die homoerotisch interessanten Beziehungen zwischen Malchatun und Daphne oder Malchatun und Nilufer zeigen, wenn man von den normalen erotischen Beziehungen zunächst absieht. Übrigens manifestiert sich darin auch eine antike Wurzel dieser feudalen Gesellschaft Kleinasiens, die daneben im Namengut, in den Institutionen, im materiellen und kulturellen Gepräge auch viel Antikes bewahrt hat: Tralow deckt dies auf seine Weise immer wieder auf und gestaltet manches auch gerade auf dem Hintergrund einer jahrtausendealten Kulturentwicklung, die viele Varianten zeitigte, dadurch aber auch immer wieder fähig war, neue Formen und Gestaltungsmöglichkeiten zu entwickeln oder vorzuzeichnen. Die im Entstehen begriffene seldschukische und türkische Feudalgesellschaft hat dem antiken Erbe, das ihr meist von Byzanz, teilweise auch von den Arabern oder Persern übermittelt wurde, viel zu verdanken: Und sie hat dieses allgemeine und sozusagen auch allgemeingültige Erbe aus der frühen »Kindheit der Menschheit« (Karl Marx) oft besser und lückenloser gewahrt als die europäischen Feudalgesellschaften des Mittelalters, die es nur bruchstückhaft und oft verfälscht überliefert erhielten.
    Um auf die Rolle der Frau bei Tralow zurückzukommen: Wer Malchatun, ihre Freundinnen und Bekannten betrachtet, muß unwillkürlich an die Lesbierinnen der griechischen Dichterin Sappho denken, die allerdings einer anderen Kulturschicht angehörten. Ein solcher Strang durchzieht die Personenbeziehungen des Romans und bestimmt überhaupt das Netz der menschlichen Kontakte in fast allen Romanen Tralows. Das soll nicht heißen, daß der Homoerotismus ein wesentliches Gestaltungsprinzip unseres Schriftstellers sei; andere erotische Beziehungen und all die Fülle möglicher zwischenmenschlicher Beziehungen werden in seiner Darstellung allenthalben fruchtbar. Das genannte Spezifikum darf aber nicht übersehen werden.
    Stellen wir ihm eine ebenso, wichtige Komponente gegenüber, die religiös-weltanschauliche. Nach meiner persönlichen Kenntnis würde ich Johannes Tralow als Freidenker bezeichnen nicht als Atheist, aber als einen Mann, der jenseits aller religiösen oder gar kirchlichen Bindungen im engeren Sinne Position bezogen hat. Um so bemerkenswerter bleibt es, daß er sich - wovon der noch kurz vor seinem Tod vollendete Mohammed-Roman zeugt in die großen Weltreligionen und Weltanschauungen intensiv eingearbeitet und sich ständig mit ihnen auseinandergesetzt hat. Der Islam ist ihm ebenso vertraut wie die griechisch-orthodoxe Kirche, und auch mit besonderen Spezifika der jeweiligen Theologie oder Hierarchie macht er innerhalb seiner Darstellung vertraut. Der Mönch Aratos steht neben dem islamischen Gelehrten Edebali. In einem Gebiet mit religiös gemischter Bevölkerung verkehren aber nicht nur die Individuen verschiedener Glaubensrichtungen miteinander die wenigsten sind Fanatiker , sondern ihre Überzeugungen und Vorstellungen durchdringen einander und lockern dogmatische
    Enge und Einseitigkeit auf. Gerade am Beispiel der Religion zeigt Tralow, im Grunde wieder ganz aktuell, daß echte und ehrliche Koexistenz immer möglich ist, ohne daß der oder jener seine Überzeugung preisgibt. Malchatun steht, obwohl Mohammedanerin, im Grunde zwischen den Religionen und ist gerade auch deshalb so »emanzipiert«. Der Dichter hat zweifellos dabei eher Lessing, Feuerbach und Marx vor Augen gehabt als etwa Augustin oder Mohammed - so hoch er die beiden letzteren auch einschätzte.
    Tiefe
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