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Maigret und Pietr der Lette

Maigret und Pietr der Lette

Titel: Maigret und Pietr der Lette
Autoren: Georges Simenon
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schwöre Ihnen, ich …«
    »Herrn Swaan?«
    »Nein! … Ich … Es war … der … Schwager der gnädigen Frau … Er hat mich gebeten, einen Brief für sie mitzunehmen …«
    »Wo war das?«
    »Vor der Metzgerei … Er erwartete mich …«
    »Hat er dich schon öfter mit solchen Aufträgen betraut?«
    »Nein … Nie … Außerhalb des Hauses habe ich ihn nie gesehen.«
    »Und du weißt, wo er sich mit Frau Swaan verabredet hat?«
    »Ich weiß nichts! … Die gnädige Frau ist den ganzen Tag aufgeregt gewesen … Auch sie hat mir Fragen gestellt … Sie wollte wissen, wie er aussah … Ich habe die Wahrheit gesagt, daß er den Eindruck eines Mannes machte, der Unheil anrichten wird … Als er sich mir näherte, hatte ich selbst Angst.«
    Ohne die Tür zu schließen, verließ Maigret das Haus.

16
    Der Mann auf dem Felsen
     
    Der im Dienst noch unerfahrene Bornier war stark beeindruckt, als er seinen Chef wortlos dicht an sich vorbeirennen sah, während die Tür zur Villa offenblieb.
    Zweimal rief er ihm nach:
    »Herr Kommissar! … Herr Kommissar! …«
    Maigret drehte sich nicht um. Erst wenige Augenblicke später, als er die Rue d’Etretat erreichte, durch die ein paar Passanten gingen, verlangsamte er seinen Schritt, wandte sich nach rechts, stapfte durch den Matsch der Quais und rannte dann zur Mole weiter.
    Er war noch keine hundert Meter in diese Richtung gelaufen, als er eine weibliche Gestalt bemerkte. Er schwenkte etwas zu ihr hinüber, um näher an ihr vorbeizugehen. In den Wanten eines Fischkutters, der noch entladen wurde, hing eine Karbidlampe. Er blieb stehen, bis die Frau den Lichtkegel erreicht hatte, und erkannte das verzerrte Gesicht von Frau Swaan. Sie blickte verstört und ging so schnell und ungeschickt, als irre sie durch Schlammlöcher und könne ihnen nur durch ein Wunder ausweichen.
    Der Kommissar war nahe daran, sie anzusprechen, und machte auch Ansätze dazu. Aber vor sich sah er die verlassene Mole, eine im Dunkel liegende lange schwarze Linie, an deren Seiten sich die Wellen brachen.
    In diese Richtung eilte er. Nachdem er den Fischkutter hinter sich gelassen hatte, war keine Menschenseele mehr zu sehen. Die Nacht wurde nur vom roten und grünen Begrenzungslicht der Fahrrinne durchlöchert. Der Leuchtturm auf dem Felsen erhellte alle fünfzehn Sekunden einen breiten Streifen des Meeres, warf seine Strahlen blitzschnell auf die Steilküste und ließ sie gespenstisch auf- und wieder untertauchen.
    Maigret stieß gegen die Poller, erreichte den Steg, der auf Pfählen errichtet war, und fand sich vom Plätschern der Wellen umgeben.
    Er spähte in die Finsternis. Er hörte die Sirene eines Schiffes, das das Hafenbecken verlassen wollte.
    Vor ihm das Meer, undeutlich und geräuschvoll. Hinter ihm die Stadt, ihre Geschäfte, ihr schmutziges Pflaster.
    Er ging schnell, blieb von Zeit zu Zeit stehen und schaute mit wachsender Angst um sich.
     
    Er kannte das Gelände nicht, machte einen Umweg, während er abkürzen wollte. Der auf Pfählen angelegte Steg führte ihn zum Fuß eines Signalmastes mit drei schwarzen Kugeln, die er zählte, ohne sich dessen bewußt zu werden.
    Weiter vorne beugte er sich über das Geländer, über breite weiße Schaumkronen, die sich zwischen den Felsenspitzen hinzogen. Sein Hut flog ihm vom Kopf. Er rannte ihm nach, aber er fiel ins Meer.
    Die Möwen stießen grelle Schreie aus, und manchmal zeichnete sich ein weißer Flügel am Himmel ab.
    Hatte Frau Swaan am Treffpunkt niemanden vorgefunden? Hatte der andere Zeit gehabt, sich zu entfernen? War er tot?
    Maigret hielt es hier nicht länger, denn er war überzeugt, daß es sich jetzt um Sekunden handelte.
    Er kam zu dem grünen Begrenzungslicht, ging um seine Eisenstützen herum.
    Niemand! Und Welle um Welle schlug gegen den Deich, richtete sich auf, stürzte und floh in eine breite weißliche Höhlung, um mit neuem Schwung zurückzukommen.
    Ein rhythmisches Geräusch von aneinanderstoßenden Kieseln. Das verschwommene Gebäude des leeren Kasinos.
    Maigret suchte einen Mann!
    Er machte kehrt, schlenderte über den Strand, dessen Steine im Dunkeln riesigen Kartoffeln glichen.
    Er war auf derselben Höhe wie die Wellen. Gischt sprühte ihm ins Gesicht.
    Jetzt erst merkte er, daß Ebbe war und die Mole von einem Streifen schwarzer Felsmassen umgeben wurde, zwischen denen das Wasser aufsprudelte.
    Es war ein Wunder, daß er den Mann entdeckte. Zuerst kam er ihm wie ein lebloser Gegenstand vor, wie ein ungenauer
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