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Maigret und Pietr der Lette

Maigret und Pietr der Lette

Titel: Maigret und Pietr der Lette
Autoren: Georges Simenon
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in der ersten Etage wurden Geräusche laut. Außerdem weinte hinter einer Wand im Erdgeschoß ein Kleinkind, und eine Stimme murmelte etwas in eintönigem, gedämpftem Ton, um es zu trösten.
    Nach einer Weile leise gleitende Schritte im Flur. Die Tür ging auf. Und Kommissar Maigret stand einer jungen Frau gegenüber, die sich eilig angekleidet hatte, um ihn zu empfangen. Sie war mittelgroß, eher rundlich als schlank und hatte ein hübsches, ernstes Gesicht, auf dem sich in diesem Augenblick eine gewisse Unruhe abzeichnete.
    Dennoch lächelte sie und sagte:
    »Aber Sie haben ja gar nicht Platz genommen!«
    Von Maigrets Mantel, von seiner Hose, seinen Schuhen rann das Wasser auf den gewachsten Fußboden und bildete kleine Lachen. So konnte er sich unmöglich auf die hellgrünen Velourssessel des Wohnzimmers setzen.
    »Sie sind Frau Swaan?«
    »Ja …«
    Sie sah ihn fragend an.
    »Entschuldigen Sie, wenn ich Sie störe … Es handelt sich um eine reine Formalität … Ich bin von der Ausländerpolizei … Wir machen zur Zeit eine Volkszählung …«
    Sie schwieg. Sie schien weder weiter besorgt noch wirklich beruhigt zu sein.
    »Herr Swaan ist doch Schwede, nicht wahr?«
    »Verzeihung … Norweger … Aber für einen Franzosen ist das dasselbe … Ich selbst hab am Anfang …«
    »Er ist Marineoffizier?«
    »Er fährt als Zweiter Offizier auf dem ›Seeteufel‹, aus Bremen …«
    »Richtig … Er arbeitet also für eine deutsche Gesellschaft.«
    Sie errötete leicht.
    »Der Reeder ist Deutscher, ja … Wenigstens auf dem Papier …«
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Ich glaube nicht, daß es nötig ist, Ihnen das zu verheimlichen … Sie wissen sicher, daß es seit dem Krieg eine Krise bei der Handelsmarine gibt … Selbst hier wird man Ihnen eine Reihe von Kapitänen zur See nennen können, die keine Stelle haben und gezwungen sind, sich als Zweite oder Dritte Offiziere anheuern zu lassen. Andere arbeiten als Fischer bei Neufundland oder in der Nordsee.«
    Sie redete ein wenig überstürzt, aber mit sanfter, gleichbleibender Stimme.
    »Mein Mann wollte keinen Vertrag für den Pazifik unterschreiben, wo es mehr zu tun gibt, denn dann hätte er nur alle zwei Jahre nach Europa kommen können … Kurz nach unserer Heirat rüsteten einige Amerikaner den ›Seeteufel‹ unter dem Namen eines deutschen Reeders aus … Und Olaf ist extra nach Fécamp gekommen, um sich zu überzeugen, daß hier nicht andere Schoner zum Verkauf standen …
    Sie verstehen jetzt … Es ging um Alkoholschmuggel in die Vereinigten Staaten …
    Große Gesellschaften wurden gegründet, mit amerikanischem Kapital. Sie haben ihren Sitz in Frankreich, Holland oder in Deutschland … In Wirklichkeit arbeitet mein Mann für eine dieser Gesellschaften. Wo der ›Seeteufel‹ eingesetzt ist, das nennen sie die ›Straße des Rums‹.
    Er hat also mit Deutschland nichts zu tun …«
    »Ist er zur Zeit auf See?« fragte Maigret, ohne das hübsche Gesicht, das etwas Offenes und manchmal sogar etwas Rührendes hatte, aus den Augen zu lassen.
    »Ich glaube nicht. Sie werden verstehen, daß diese Fahrten nicht so regelmäßig stattfinden wie die von Passagierdampfern. Aber ich versuche immer, mir die Position des ›Seeteufel‹ so ungefähr auszurechnen. Jetzt müßte er in Bremen sein oder jeden Augenblick dort einlaufen …«
    »Sind Sie schon einmal in Norwegen gewesen?«
    »Noch nie! Ich habe die Normandie sozusagen nicht verlassen. Höchstens zwei- oder dreimal bin ich für ein paar Tage in Paris gewesen.«
    »Mit Ihrem Mann?«
    »Ja … Unter anderem auf unserer Hochzeitsreise.«
    »Er ist blond, nicht wahr?«
    »Ja … Warum fragen Sie mich das?«
    »Mit einem kleinen hellen Schnurrbart, der dicht über den Lippen abrasiert ist?«
    »Ja … Ich kann Ihnen übrigens ein Foto von ihm zeigen.«
    Sie öffnete eine Tür und ging hinaus. Maigret hörte, wie sie im Nachbarzimmer umherging.
    Sie blieb länger weg, als einzusehen war. Und im Haus waren Geräusche von sich öffnenden und schließenden Türen zu vernehmen, ein kaum erklärbares Hin und Her.
    Schließlich erschien sie wieder, ein wenig verwirrt.
    »Entschuldigen Sie …«, sagte sie. »Ich kann das Bild nicht finden … Wo Kinder sind, herrscht immer Unordnung im Haus …«
    »Eine Frage noch … Wie vielen Leuten haben Sie dieses Foto von sich gegeben?«
    Er zeigte ihr den Abzug, den der Fotograf ihm überlassen hatte. Frau Swaan wurde puterrot und stammelte:
    »Ich verstehe nicht …«
    »Ihr
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