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Maigret und Pietr der Lette

Maigret und Pietr der Lette

Titel: Maigret und Pietr der Lette
Autoren: Georges Simenon
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Mann hat doch sicher ein Exemplar? …«
    »Ja … Wir waren verlobt, als …«
    »Kein anderer Mann besitzt dieses Foto?«
    Sie war nahe daran, zu weinen. Das Zucken um ihre Lippen verriet ihre Verwirrung.
    »Keiner …«
    »Ich danke Ihnen, Frau Swaan …«
    Als er hinausging, schlüpfte ein kleines Mädchen in den Vorraum. Maigret brauchte sich dieses Gesicht nicht genauer anzusehen. Es war das lebendige Porträt von Pietr, dem Letten.
    »Olga! …« schimpfte die Mutter und schob das Kind zu einer halbgeöffneten Tür.
    Der Kommissar stand wieder draußen im Regen und Matsch.
    »Auf Wiedersehen, Frau Swaan …«
    Er sah sie noch einen Augenblick in der Haustüröffnung, und er hatte das Gefühl, diese Frau, die er zu Hause überrascht hatte, fassungslos in der angenehmen Wärme der Villa zurückzulassen. Und es gab noch andere, sehr feine, unbestimmbare, aber von Angst geprägte Spuren in den Augen der jungen Mutter, die nun die Tür schloß.

5
    Der betrunkene Russe
     
    Es gibt Dinge, deren man sich nicht rühmt, die lächerlich wirken, wenn man davon spricht, und die dennoch einen gewissen Heroismus erfordern.
    Maigret hatte nicht geschlafen. Von halb sechs bis acht Uhr war er in zugigen Abteilen durchgerüttelt worden.
    Schon in La Bréauté war er durchnäßt gewesen. Jetzt schwappte bei jedem Schritt schmutziges Wasser aus seinen Schuhen, sein Hut war deformiert, Mantel und Jacke waren klitschnaß.
    Der Wind schlug ihm den Regen wie Ohrfeigen ums Gesicht. Die schmale Straße lag verlassen. Es war nur ein abschüssiger Pfad zwischen den Gartenmauern. In seiner Mitte strömte das Wasser bergab.
    Er blieb einen Augenblick stehen. Selbst seine Pfeife in der Tasche war feucht. Keinerlei Möglichkeit, sich in der Nähe der Villa zu verstecken. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich, so gut es ging, an eine Mauer zu drücken und zu warten.
    Wenn Leute vorbeikamen, würden sie ihn sehen, sich nach ihm umdrehen. Vielleicht mußte er stundenlang dort ausharren. Es gab keinen ausdrücklichen Beweis dafür, daß ein Mann in dem Haus war. Und wenn sich da einer aufhielt, würde er das Bedürfnis haben, auszugehen?
    Trotzdem drängte sich Maigret mürrisch hinter einen leichten Vorsprung der Mauer und stopfte seine nasse Pfeife.
    Das war nicht ganz der richtige Platz für einen Beamten der Kriminalpolizei. Bestenfalls eine Aufgabe für einen Anfänger. Zwischen zwanzig und dreißig hatte er so hundertmal auf der Lauer gelegen.
    Er hatte alle Mühe, ein Streichholz anzuzünden. Die Reibfläche der Schachtel löste sich auf. Und vielleicht wäre er weggegangen, wenn nicht doch noch wie durch ein Wunder eines der Zündhölzer aufgeflammt wäre.
    Von seinem Standort aus sah er nichts als eine niedrige Mauer und das grüngestrichene Gartentor der Villa. Mit den Füßen stand er in Brombeersträuchern. In seinem Nacken zog es kalt.
    Fécamp lag unterhalb von ihm, aber er konnte die Stadt nicht sehen. Er hörte nur das Rauschen des Meeres und hin und wieder eine heulende Sirene oder ein vorbeifahrendes Auto.
    Seit einer halben Stunde hatte er seinen Posten bezogen, als eine Frau, die wie eine Köchin aussah, mit einem Einkaufskorb den steilen Pfad heraufstieg. Sie bemerkte Maigret erst, als sie an ihm vorbeiging. Seine massige Gestalt, die da reglos an der Mauer eines Weges lehnte, über den der Wind hinwegfegte, erschreckte sie dermaßen, daß sie zu laufen begann.
    Sicher arbeitete sie in einer der Villen oben an der Steilküste. Ein paar Minuten später tauchte an der Wegbiegung ein Mann auf, beobachtete Maigret von weitem, eine Frau trat hinzu, dann gingen beide nach Hause zurück.
    Die Situation war einfach lächerlich. Der Kommissar wußte, daß die Chancen, auf seinem Posten etwas auszurichten, zehn zu hundert standen.
    Dennoch harrte er aus, weil er ein unbestimmtes Gefühl hatte, das er noch nicht einmal als Vorahnung hätte bezeichnen können. Es war vielmehr eine seiner Theorien, die er übrigens nie weiterentwickelt hatte und die auch in seiner Vorstellung unscharf blieb. Für sich nannte er sie die Theorie vom Riß.
    In jedem Missetäter, in jedem Banditen steckt ein Mensch, aber auch und vor allem ein Spieler, ein Gegner, und auf ihn hat es die Polizei abgesehen, er ist es, den sie im allgemeinen bekämpft.
    Ist ein Verbrechen begangen worden oder nur irgendein Delikt? Der Kampf gilt den mehr oder weniger objektiven Gegebenheiten. Dem Problem mit einer oder mehreren Unbekannten, das der Verstand zu lösen
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