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Maigret und Pietr der Lette

Maigret und Pietr der Lette

Titel: Maigret und Pietr der Lette
Autoren: Georges Simenon
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einen Absinth-Ersatz bestellt und stand da, ohne etwas zu sagen, gleichgültig und mit leerem Blick neben Maigret.
    Unter dem halbgeöffneten Mantel gewahrte der Kriminalbeamte nicht sehr einwandfreie Wäsche. Und auch das war unnachahmbar! Das Hemd, der abgeschabte Kragen waren tage- oder vielmehr wochenlang getragen worden. Er hatte darin wer weiß wo geschlafen. Er hatte darin geschwitzt. Regen war gefallen.
    Der Anzug war nicht unelegant, aber er zeigte die gleichen Merkmale, kündete gleichermaßen von einem liederlichen Landstreicherleben.
    »Noch einen!«
    Das Glas war leer. Der Wirt füllte es wieder. Maigret servierte er einen gestreckten Pernod.
    »Nun, mal wieder im Lande?«
    Der Mann antwortete nicht, kippte den Aperitif herunter, wie er den ersten heruntergekippt hatte, schob das Glas auf den Schanktisch zurück und gab ein Zeichen, es noch einmal zu füllen.
    »Wollen Sie etwas essen? … Ich habe eingelegte Heringe …«
    Maigret war auf einen kleinen Ofen zugesteuert, dem er seinen wie ein Regenschirm glänzenden Rücken zukehrte. Der Wirt gab nicht auf. Mit einem Seitenblick auf den Kommissar wandte er sich erneut dem Gast im Trenchcoat zu:
    »Übrigens, letzte Woche hatte ich einen Landsmann von Ihnen hier … Einen Russen aus Archangelsk … Er hatte auf einem schwedischen Dreimaster angeheuert, der wegen des Sturms im Hafen vor Anker gehen mußte … Er hatte kaum Zeit, sich zu betrinken, sag ich Ihnen! … Sie hatten höllisch zu tun … Die Segel zerrissen, zwei Rahen gebrochen und der ganze Krempel …«
    Der andere, der nun bei seinem vierten Absinth war, hielt sich ans Trinken. Der Wirt füllte das Glas, sobald es leer war, und jedesmal warf er dabei Maigret einen komplizenhaften Blick zu.
    »Der Käpten Swaan ist übrigens nicht wieder aufgekreuzt, seit ich Sie zum letzten Mal gesehen habe …«
    Der Kommissar fuhr zusammen. Der Mann im Trenchcoat, der sein fünftes Glas ohne Wasser hinuntergekippt hatte, wankte zum Ofen, stieß gegen Maigret und streckte seine Hände nach der Wärme aus.
    »Geben Sie mir ruhig einen Hering …«, sagte er.
    Er sprach mit ziemlich starkem Akzent, mit russischem Akzent, soweit Maigret das beurteilen konnte.
    Sie standen da, nebeneinander, sozusagen gegeneinander. Wiederholt fuhr sich der Mann mit der Hand durchs Gesicht, und sein Blick wurde immer trüber.
    »Mein Glas? …« stieß er hervor.
    Man mußte es ihm in die Hand drücken. Während er trank, starrte er Maigret an und verzog angewidert den Mund.
    An diesem Gesichtsausdruck gab es keinen Zweifel. Überdies warf er das Glas auf den Boden, als wolle er damit sein Gefühl noch bekräftigen, hielt sich an der Lehne eines Stuhls fest und brummelte etwas in einer fremden Sprache vor sich hin.
    Ein wenig beunruhigt ging der Wirt beiläufig an Maigret vorbei und flüsterte ihm zu, aber so, daß der Russe jedes Wort verstehen konnte:
    »Beachten Sie ihn nicht! Er ist immer so …«
    Der Mann lachte unartikuliert. Er ließ sich auf den Stuhl fallen, stützte den Kopf in die Hände und blieb unbeweglich sitzen, bis man ihm zwischen den Ellbogen hindurch einen Teller mit einem marinierten Hering auf den Tisch schob.
    Der Wirt rüttelte ihn an der Schulter.
    »Essen Sie! … Das wird Ihnen guttun …«
    Der andere lachte noch einmal. Es war eher ein bitteres Husten. Er drehte sich um, suchte nach Maigret, musterte ihn unverfroren und stieß den Heringsteller vom Tisch.
    »Was zu trinken!«
    Der Wirt hob die Arme zur Decke und brummte wie zur Entschuldigung:
    »Diese Russen! So sind sie eben …«
    Und er tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. Maigret hatte seine Melone in den Nacken geschoben. Seine Kleidung dünstete graue Feuchtigkeit aus. Er war bei seinem zweiten Pernod.
    »Geben Sie mir auch einen Hering!« sagte er.
    Er war gerade dabei, ihn mit einem Stück Brot zu verzehren, als sich der Russe mit weichen Knien erhob, sich umschaute, als wisse er nicht, was er tun sollte, und zum drittenmal auflachte, während er Maigret nachdenklich betrachtete.
    Dann landete er vor dem Tresen, nahm ein Glas aus dem Regal und zog eine Flasche aus dem Zinkbecken, wo sie zum Kühlen in kaltem Wasser stand.
    Er schenkte sich selbst ein, ohne hinzuschauen, und trank mit einem schmatzenden Geräusch.
    Schließlich zog er einen Hundert-Franc-Schein aus der Tasche. »Reicht das, Schurke?« fragte er.
    Er warf den Schein in die Luft. Der Wirt mußte ihn aus dem Ausguß herausfischen.
    Der Russe rüttelte an der
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