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Maigret und die Unbekannte

Maigret und die Unbekannte

Titel: Maigret und die Unbekannte
Autoren: Georges Simenon
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was Besonderes zu sagen?«
    »Man hat eben an der Place Vintimille die Leiche eines jungen Mädchens aufgefunden.«
    »Weißt du nichts Näheres?«
    »Die Männer vom 2. Revier sind jetzt gewiß schon am Tatort. Ich habe den Anruf vor drei Minuten bekommen.«
    »Ich danke dir.«
    Janvier, der die drei Missetäter hinter Schloß und Riegel gebracht hatte, kam mit leicht geröteten Augen zurück, und wie jedesmal, wenn er nachts wachen mußte, sproß ihm der Bart, was ihm ein ungesundes Aussehen gab.
    Maigret zog seinen Mantel an und suchte seinen Hut.
    »Kommst du mit?«
    Hintereinander stiegen sie die Treppe hinunter. Gewöhnlich aßen sie die Zwiebelsuppe in den Hallen, aber als sie auf dem Hof vor den dort aufgereihten kleinen schwarzen Autos standen, wurde Maigret plötzlich unschlüssig.
    »Man hat eben auf der Place Vintimille ein totes junges Mädchen entdeckt«, sagte er.
    Und wie jemand, der einen Vorwand sucht, um nicht schlafen zu gehen, fügte er hinzu:
    »Fahren wir hin?«
    Janvier setzte sich an das Steuer eines der Wagen. Sie waren beide von dem stundenlangen Verhör zu abgekämpft, um viel sprechen zu können.
    Maigret dachte gar nicht daran, daß der Bezirk des 2. Reviers Lognons Jagdgebiet war, jenes Lognon, dem seine Kollegen den Spitznamen Inspektor Pechvogel gegeben hatten. Aber auch wenn ihm das eingefallen wäre, hätte es kaum einen Unterschied gemacht, denn es konnte gut sein, daß Lognon nicht Nachtdienst hatte.
    Die feuchten Straßen waren menschenleer, und der feine Sprühregen bildete um die Gaslaternen einen Hof wie um den Mond. Nur hin und wieder sah man jemanden dicht an den Häuserwänden entlangeilen. An der Ecke der Rue Montmartre und der großen Boulevards war ein Lokal noch geöffnet, und ein Stück weiter sahen sie die Leuchtschilder von zwei oder drei Nachtlokalen und davor wartende Taxis.
    Die dicht bei der Place Blanche gelegene Place Vintimille wirkte wie eine friedliche Insel. Ein Polizeiwagen parkte dort, und dicht am Gitter des winzigen Platzes standen vier oder fünf Menschen um eine auf dem Boden liegende helle Gestalt herum.
    Sofort erkannte Maigret unter ihnen den kleinen, dünnen Lognon. Inspektor Pechvogel trat aus der Gruppe auf den Wagen zu, um zu sehen, wer kam, und erkannte ebenfalls Maigret und Janvier sofort.
    »Ach, du lieber Himmel«, murmelte der Kommissar.
    Denn Lognon würde ihn natürlich beschuldigen, es absichtlich getan zu haben. Dies hier war sein Bereich, sein Herrschaftsgebiet. Das Drama, das sich hier abgespielt hatte, bot ihm vielleicht die schon seit Jahren sehnlich erwartete Gelegenheit, sich auszuzeichnen. Aber nun führte eine Kette von Zufällen Maigret fast zur gleichen Zeit wie ihn an den Tatort!
    »Hat man Sie angerufen?« fragte er argwöhnisch, schon ganz davon überzeugt, daß man eine Verschwörung gegen ihn angezettelt habe.
    »Ich war noch am Quai. Raymond hat angerufen, und da bin ich gleich hergekommen.«
    Trotz aller Rücksicht auf Lognons Empfindlichkeit fragte Maigret, wobei er auf die auf dem Gehsteig liegende Unbekannte deutete:
    »Ist sie tot?«
    Lognon nickte. Außer ihm waren noch drei uniformierte Polizisten da, ferner ein Ehepaar, das zufällig vorübergekommen war und, wie der Kommissar erst später erfuhr, die Leiche entdeckt und die Polizei benachrichtigt hatte. Hätte die Tote nur hundert Meter von hier entfernt gelegen, hätte es bereits einen großen Menschenauflauf gegeben, aber nachts kommt kaum jemand über die Place Vintimille.
    »Wer ist sie?«
    »Das wissen wir noch nicht. Sie hat keine Papiere bei sich.«
    »Auch keine Handtasche?«
    »Nein.«
    Maigret machte drei Schritte und bückte sich. Die junge Frau lag auf der rechten Seite, mit der einen Wange auf dem feuchten Gehsteig. Sie hatte nur einen Schuh an.
    »Hat man den anderen nicht gefunden?«
    Lognon schüttelte den Kopf. Es war ein seltsamer Anblick, die Zehen durch den Seidenstrumpf hindurchschimmern zu sehen. Sie trug ein hellblauseidenes Abendkleid, das vielleicht, weil sie nach rechts gekehrt lag, zu groß für sie wirkte.
    Das Gesicht war noch jung. Maigret schätzte sie auf kaum Anfang Zwanzig.
    »Ist der Arzt benachrichtigt?«
    »Ja. Er müßte eigentlich schon hier sein.«
    Maigret wandte sich an Janvier:
    »Ruf doch mal den Erkennungsdienst an. Sie sollen die Fotografen schicken.«
    An dem Kleid war kein Blut zu sehen. Als Maigret mit der Taschenlampe eines der Polizisten der Toten ins Gesicht leuchtete, kamen ihm das sichtbare Auge und die
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