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Maigret und die Unbekannte

Maigret und die Unbekannte

Titel: Maigret und die Unbekannte
Autoren: Georges Simenon
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nannte.
    »Wollen Sie nach Hause, Lognon?«
    »Ja, falls Sie keinen dringenden Auftrag für mich haben.«
    »Place Constantin-Pecqueur«, sagte der Kommissar.
    »Ich kann zu Fuß gehen.«
    Schon wieder sein bescheidenes Getue.
    »Kennen Sie die Sklavin?«
    »Diese nicht. Sie wechselt sie von Zeit zu Zeit.«
    »Wirft sie sie hinaus?«
    »Nein. Die Mädchen gehen von selber. Sie nimmt sie auf, wenn sie klamm sind und nicht mehr wissen, wo sie schlafen sollen.«
    »Warum?«
    »Vielleicht, um sie davor zu bewahren, auf den Strich zu gehen.«
    Lognon schien zu denken: Ich weiß, Sie glauben es nicht, Sie vermuten Gott weiß was für scheußliche Absichten. Trotzdem kommt’s vor, daß eine Frau wie die mitleidig ist und etwas aus reiner Barmherzigkeit tut. Von mir denkt man ja auch, daß ich…
    Maigret seufzte.
    »Das beste ist, Sie schlafen sich jetzt erst einmal aus, Lognon. Wahrscheinlich werde ich Sie in der kommenden Nacht brauchen. Was halten Sie von dem Fall?«
    Statt etwas zu erwidern, zuckte der Inspektor nur leicht die Schultern. Was hatte es für einen Sinn, so zu tun, als ob er sich Gedanken darüber machte, da doch alle, wie er fest überzeugt war, ihn für einen Trottel hielten?
    Der Wagen hielt auf dem kleinen Platz vor einem Mietshaus.
    »Rufen Sie mich im Büro an?«
    »Nein, in Ihrer Wohnung. Es wäre mir lieber, wenn Sie zu Hause blieben.«
    Eine halbe Stunde später kam Maigret mit seinem Paket unterm Arm am Quai des Orfevres an und begab sich gleich in das Büro der Inspektoren.
    »Nichts für mich, Lucas?«
    »Nichts, Chef.«
    Überrascht und enttäuscht runzelte er die Brauen. Es waren nun schon viele Stunden verstrichen, seit das Foto in den Zeitungen erschienen war.
    »Keine Telefonanrufe?«
    »Nur wegen eines Käsediebstahls in den Hallen.«
    »Ich meine, wegen des jungen Mädchens, das heute nacht ermordet worden ist.«
    »Nichts, gar nichts.«
    Dr. Pauls Bericht lag auf seinem Schreibtisch. Er warf nur einen flüchtigen Blick hinein und stellte fest, daß nichts darin stand außer dem, was ihm der Gerichtsarzt schon in der Nacht gesagt hatte.
    »Schick mir doch bitte mal Lapointe.«
    Während er auf ihn wartete, betrachtete er nacheinander die Kleidungsstücke, die er auf einem Sessel ausgebreitet hatte, und das Foto der Ermordeten.
    »Guten Tag, Chef. Haben Sie etwas für mich?«
    Er zeigte ihm das Foto, das Kleid, die Unterwäsche.
    »Zunächst einmal bring das alles zu Moers hinaus und bitte ihn, es genau zu untersuchen.«
    Das hieß, daß Moers die Kleidungsstücke in einen Papiersack stecken und sie dann schütteln würde, damit der Staub herausfiel, der daraufhin mikroskopisch untersucht und analysiert wurde. Manchmal führte das zu einem Ergebnis.
    »Er soll auch die Handtasche, die Schuhe und das Abendkleid untersuchen.«
    »Ja. Weiß man noch immer nicht, wer sie ist?«
    »Man weiß nichts, außer daß sie sich gestern abend dieses blaue Kleid für eine Nacht in einem Geschäft auf dem Montmartre geliehen hat. Wenn Moers mit seiner Untersuchung fertig ist, gehst du ins Gerichtsmedizinische Institut und siehst dir die Leiche genau an.«
    Der junge Lapointe, der erst zwei Jahre bei der Kriminalpolizei war, schnitt ein Gesicht.
    »Das ist wichtig. Von dort gehst du in eine Mannequin-Vermittlung, in irgendeine. In der Rue Saint-Florentin befindet sich eine. Dort suchst du nach einer jungen Frau, die ungefähr die Figur der Toten hat.«
    Einen Augenblick fragte sich Lapointe, ob der Chef das ernst meine oder ob er ihn auf den Arm nehmen wolle.
    »Und dann?« fragte er.
    »Dann läßt du sie den Mantel und das Kleid anziehen. Wenn sie ihr passen, führst du sie ins Laboratorium und bittest, sie zu fotografieren.«
    Lapointe begann zu begreifen.
    »Das ist aber noch nicht alles. Ich möchte auch ein Foto der Toten haben mit Make-up und allem Drum und Dran, ein Foto, auf dem sie wie eine Lebende aussieht.«
    Beim Erkennungsdienst gab es einen Fotografen, der darin ein wahrer Meister war.
    »Es wird für eine Montage genügen, das heißt, der Kopf der Toten wird auf den Körper des Modells aufgeklebt. Mach schnell. Ich möchte das Bild noch rechtzeitig für die letzte Ausgabe der Abendzeitungen haben.«
    Nachdem Lapointe gegangen war, unterzeichnete Maigret in seinem Büro einige Schriftstücke, stopfte sich eine Pfeife und rief Lucas, der für alle Fälle die Akte Elisabeth Coumar, genannt Irene, heraussuchen sollte. Er war zwar davon überzeugt, daß das zu nichts führen werde, daß sie die
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