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Maigret und die Unbekannte

Maigret und die Unbekannte

Titel: Maigret und die Unbekannte
Autoren: Georges Simenon
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dabei, mir Kaffee zu kochen.« Maigret reichte ihr die Zeitung, und sie betrachtete das Foto, ohne irgendeine Überraschung zu bekunden.
    »Ist sie das?«
    »Ja.«
    »Wundert Sie das nicht?«
    »Mich wundert schon lange nichts mehr. Ist das Kleid hin?«
    »Es ist durch den Regen feucht geworden, aber nicht zerrissen.«
    »Das ist immer das gleiche. Sie möchten wahrscheinlich, daß ich Ihnen ihre Kleidungsstücke gebe? Viviane!«
    Das Mädchen hatte sofort verstanden und öffnete einen der Schränke, in dem Kleider hingen. Sie legte ein schwarzes Wollkleid auf die Theke, und Maigret suchte nach dem Firmenschild.
    »Das Kleid hat sie sich selber gemacht«, sagte Mademoiselle Irene. »Bring mal ihren Mantel, Viviane.« Der beigefarbene Mantel mit braunen Karos war ebenfalls aus Wolle, aber von minderer Qualität und stammte aus einem Warenhaus in der Rue Lafayette.
    »Billiges Zeug, wie Sie sehen. Die Schuhe und die Unterwäsche sind auch nichts mehr wert.«
    Das alles lag jetzt auf der Theke ausgebreitet. Dann brachte die Sklavin eine Handtasche aus schwarzem Leder mit silbernem Metallverschluß. Außer einem Bleistift und einem Paar abgetragener Handschuhe enthielt die Tasche nichts.
    »Sie sagten doch, Sie hätten ihr auch noch eine Handtasche geliehen.«
    »Ja. Sie wollte eigentlich diese nehmen. Aber ich habe ihr gesagt, die passe schlecht zu dem Kleid, und habe ihr dann eine silberne Abendtasche herausgesucht. Sie hat ihren Lippenstift, ihren Puder und ihr Taschentuch hineingetan.«
    »Keine Geldtasche?«
    »Es kann sein. Ich habe nicht darauf geachtet.«
    Lognon stand noch immer da wie jemand, der unaufgefordert einem Gespräch zuhört.
    »Wie spät war es, als sie von Ihnen fortging?«
    »Das Anziehen hat fast eine Viertelstunde gedauert.«
    »Hatte sie es eilig?«
    »Es sah so aus. Sie hat zwei- oder dreimal auf die Uhr gesehen.«
    »Auf ihre Uhr?«
    »Ich habe keine Uhr an ihr bemerkt, über der Theke hängt eine Wanduhr.«
    »Als sie ging, regnete es. Hat sie ein Taxi genommen?«
    »Es war kein Taxi auf der Straße. Sie ist zur Rue Blanche gegangen.«
    »Hat sie Ihnen wieder ihren Namen und ihre Adresse angegeben?«
    »Ich habe sie nicht danach gefragt.«
    »Seien Sie doch so gut und sehen Sie nach, ob Sie den Zettel noch haben, auf dem Sie beim erstenmal beides notiert hatten.«
    Sie ging seufzend hinter die Theke und öffnete eine Schublade, in der alles mögliche lag, Notizbücher, Rechnungen, Bleistifte, Stoffmuster und ein ganzes Knopfsortiment.
    Ohne viel Hoffnung, das Gesuchte zu finden, kramte sie darin und sagte dann:
    »Wissen Sie, es nützt nichts, sich ihre Adressen zu merken, denn die Mädchen wohnen im allgemeinen möbliert und wechseln das Zimmer öfter als die Unterwäsche. Wenn sie ihre Miete nicht mehr bezahlen können, verschwinden sie und… Nein, das ist nicht der Zettel. Wenn ich mich recht erinnere, wohnte sie hier im Viertel, in einer Straße, die jeder kennt. Ich kann die Adresse jetzt nicht finden.
    Wenn Ihnen aber viel daran liegt, werde ich weitersuchen und dann anrufen.«
    »Ich bitte darum.«
    »Arbeitet der mit Ihnen zusammen?« fragte sie, auf Lognon deutend. »Er wird Ihnen allerlei über mich erzählen können, aber er wird Ihnen auch sagen, daß ich seit Jahren nichts mehr mit der Polizei zu tun gehabt habe. Das stimmt doch, du?«
    Maigret benutzte das braune Papier, um die Kleidungsstücke einzupacken.
    »Lassen Sie das blaue Kleid nicht hier?«
    »Das bekommen Sie später wieder.«
    »Schön, wie Sie wollen.«
    Als er gerade hinausgehen wollte, fiel Maigret noch eine Frage ein.
    »Hat sie, als sie gestern abend kam, irgendein Kleid haben wollen oder das, das sie schon einmal getragen hatte?«
    »Das, das sie schon einmal getragen hatte.«
    »Glauben Sie, sie hätte ein anderes genommen, wenn Sie dieses nicht gehabt hätten?«
    »Das weiß ich nicht. Sie hat gefragt, ob ich es noch hätte.«
    »Ich danke Ihnen.«
    »Ich wüßte nicht, wofür.«
    Sie stiegen wieder in den Wagen, und die Sklavin schloß die Tür hinter ihnen. Lognon sagte noch immer nichts, sondern wartete darauf, daß Maigret ihm Fragen stellte.
    »Hat sie im Gefängnis gesessen?«
    »Drei- oder viermal.«
    »Wegen Hehlerei?«
    »Ja.«
    »Wann ist sie zum letztenmal verurteilt worden?«
    »Vor vier oder fünf Jahren. Sie war zuerst Tänzerin und dann Puffmutter, als es noch solche Häuser gab.«
    »Hat sie immer eine Sklavin gehabt?«
    Der Chauffeur wartete darauf, daß man ihm das nächste Fahrtziel
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