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Maigret und die Tänzerin Arlette

Maigret und die Tänzerin Arlette

Titel: Maigret und die Tänzerin Arlette
Autoren: Georges Simenon
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ersten Augenblick für ihren Vater hielt. Er war ziemlich klein und hatte sehr breite Schultern. Er hat aber nie ein Wort mit mir gesprochen. Soviel ich weiß, ist er dann auch nie mehr gekommen. Es wohnen viele Mieter im Haus und dazu noch die vielen Leute in den Büros im Haus A, und so ist es ein ewiges Kommen und Gehen.«
    »Ich werde wohl nachher noch einmal wiederkommen, um mich weiter mit Ihnen zu unterhalten.«
    Es war ein altes Haus. Von der Einfahrt führte eine Treppe nach links und eine andere nach rechts. Beide waren dunkel, und unten waren Firmenschilder aus Emaille oder falschem Marmor angebracht. Im Hochparterre befand sich ein Damenfriseur, im ersten Stock eine Masseuse, im zweiten ein Geschäft für künstliche Blumen, ein Rechtskonsulent und sogar eine Hellseherin.
    Das Pflaster im Hof glänzte vom Regen, und über die Tür vor ihnen war in schwarzer Farbe ein großes B gemalt.
    Sie stiegen drei Treppen hinauf und ließen auf den Stufen Schmutzspuren zurück. Nur eine einzige Tür öffnete sich, als sie vorübergingen; eine dicke Frau mit spärlichem, aufgewickeltem Haar spähte ins Treppenhaus, verschwand dann aber eiligst wieder und schloß hinter sich ab.
    Inspektor Lognon vom Revier Saint Georges kam ihnen, wie es seine Art war, mit griesgrämiger Miene entgegen, und der Blick, den er Maigret zuwarf, sagte nur allzu deutlich: »Das mußte ja passieren!«
    Nicht genug, daß das junge Mädchen erdrosselt worden war. Ausgerechnet in diesem Viertel war das Verbrechen begangen worden, so daß man Lognon an den Tatort entsandt hatte. Und ausgerechnet Maigret erschien, um die Sache in die Hand zu nehmen.
    »Ich habe nichts angerührt«, sagte Lognon in seinem aller amtlichsten Ton. »Der Arzt ist noch im Zimmer.«
    Keine Wohnung hätte bei diesem Wetter einen heiteren Eindruck gemacht. Es war einer jener trüben Tage, an denen man sich fragt, wozu man eigentlich auf die Welt gekommen ist und wofür man sich so abstrampelt, um recht lange auf Erden zu bleiben. Das erste Zimmer war eine Art Wohnzimmer, sehr nett eingerichtet, peinlich sauber und wider alles Erwarten tadellos aufgeräumt. Was einem gleich auffiel, war der sorgfältig gebohnerte Fußboden, der gut nach Wachs roch – in einem Kloster hätte er nicht spiegelblanker sein können. Maigret nahm sich vor, die Concierge gleich nachher zu fragen, ob Arlette ihren Haushalt selber besorgt hatte.
    Durch die halbgeöffnete Tür sahen sie Dr. Pasquier, der gerade den Mantel wieder anzog und seine Instrumente in seine Tasche legte. Vor dem gemachten Bett, auf einem weißen Ziegenfell, lag die Tote in ihrem schwarzen Seidenkleid lang ausgestreckt. Man sah ihre bloßen, sehr weißen Arme und das goldenrötliche Haar.
    Dann sah Maigret etwas, das ihm fast grotesk vorkam: während der eine Fuß noch in einem Stöckelschuh steckte, war der andere nur mit einem dünnen Seidenstrumpf bekleidet, durch den die Zehen hindurchschimmerten. Der Strumpf war ein wenig schmutzig und hatte eine Laufmasche, die von der Ferse bis übers Knie lief.
    »Kein Zweifel, sie ist erdrosselt worden«, sagte der Arzt. »Der Kerl, der das tat, hat sie erst wieder losgelassen, als sie schon tot war.«
    »Läßt sich bestimmen, wann es passiert ist?«
    »Es ist knapp anderthalb Stunden her. Die Leichenstarre ist noch nicht eingetreten.«
    Maigret hatte nicht weit vom Bett hinter der Tür einen offenen Schrank bemerkt, in dem Kleider, vor allem meist schwarze Abendkleider, hingen.
    »Glauben Sie, daß er sie von hinten gepackt hat?«
    »Das ist sehr wahrscheinlich, denn es ist keine Spur eines Kampfes zu sehen. Soll ich Ihnen meinen Bericht schicken, Monsieur Maigret?«
    »Wenn Sie so gut sein wollen.«
    Das freundliche Schlafzimmer wirkte so gar nicht wie das einer Kabarettänzerin. Wie im Wohnzimmer lag auch hier nichts herum, bis auf den Mantel aus imitiertem Nerz, der quer über das Bett geworfen war, und der Handtasche auf dem Sessel.
    »Sie ist um halb zehn vom Quai des Orfevres fortgegangen«, sagte Maigret. »Wenn sie ein Taxi genommen hat, ist sie gegen zehn Uhr hiergewesen. Wenn sie mit dem Bus oder der Metro gefahren ist, war es später. Sie ist gleich darauf überfallen worden.«
    Er ging zum Schrank und untersuchte dessen Boden. »Es hat hier jemand auf sie gewartet, er hat sich im Schrank versteckt und sie, sobald sie den Mantel ausgezogen hatte, an der Gurgel gepackt.«
    Das alles war erst eben geschehen. Selten kam es vor, daß sie so schnell am Tatort waren.
    »Sie
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