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Maigret und die Affäre Saint Fiacre

Maigret und die Affäre Saint Fiacre

Titel: Maigret und die Affäre Saint Fiacre
Autoren: Georges Simenon
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wirklich kalt. Er blieb auf dem Schloßhof stehen, mit dem Arzt, der sich eine Pfeife zu stopfen begann.
    »Wer ist dieser Monsieur Jean?«
    Bouchardon zuckte die Achseln, und ein eigentümliches Lächeln flog über seine Lippen.
    »Sie werden ihn ja sehen.«
    »Kommen Sie schon! Wer ist’s?«
    »Ein junger Mann … Ein charmanter junger Mann …«
    »Ein Verwandter?«
    »Wenn Sie so wollen! Gewissermaßen, ja! Ach, ich kann es Ihnen auch gleich sagen … Er ist der Liebhaber der Gräfin … Offiziell ist er ihr Sekretär …«
    Und Maigret schaute dem Doktor in die Augen, entsann sich, daß er mit ihm zur Schule gegangen war. Bloß ihn selbst erkannte niemand wieder! Er war zweiundvierzig Jahre alt. Und er war füllig geworden.
    Das Schloß, er kannte es besser als irgend sonst jemand! Besonders die Wirtschaftsgebäude. Nur ein paar Schritte, und er konnte das Verwalterhaus sehen, wo er geboren war.
    Eben diese Erinnerungen mochten es sein, die ihn so sehr störten! Insbesondere die Erinnerung an die Gräfin Saint-Fiacre, so wie er sie gekannt hatte: als junge Frau, die für ihn, den einfachen Dorfjungen, alle Weiblichkeit, alle Schönheit, alle Vornehmheit verkörpert hatte.
    Nun war sie tot! Man hatte sie wie ein unhandliches Ding in das Coupé geschoben, ihre Beine dazu anwinkeln müssen! Sie hatten nicht einmal ihr Kleid wieder zugemacht, und weiße Unterwäsche quoll aus dem Schwarz des Trauergewands hervor.
     
    Es wird ein Verbrechen geschehen …
     
    Doch der Arzt hatte versichert, sie sei an einer Embolie gestorben! Welcher Schicksalsbote hatte das voraussehen können? Und wozu die Benachrichtigung der Polizei?
    Im Schloß war aufgeregtes Gerenne. Türen gingen auf und zu. Ein Maître d’hôtel, erst halb livriert, öffnete das Hauptportal, blieb zögernd stehen. Hinter ihm zeigte sich ein Mann im Schlafanzug, mit wirrem Haar und müden Augen.
    »Was ist da los?« rief er.
    »Der Gigolo!« raunte der Arzt zynisch in Maigrets Ohr.
    Die Köchin war gleichfalls alarmiert worden. Stumm schaute sie aus dem Fenster ihres Untergeschoßes, und oben bei den Dienstbotenkammern gingen Dachfenster auf.
    »Und worauf wartet ihr noch, um die Gräfin auf ihr Bett zu bringen?« wetterte Maigret empört.
    Ihm kam all dies wie eine Entweihung vor, weil es nicht mit seinen Kindheitserinnerungen übereinstimmte. Er empfand dabei nicht nur seelisch, sondern auch kö r perlich starkes Unbehagen.
     
    Es wird ein Verbrechen geschehen …
     
    Das zweite Geläut zur Messe setzte ein. Die Leute mußten sich eilen. Es gab Bauern, die von weither kamen, in Karren. Und sie hatten Blumen mitgebracht, um sie auf dem Friedhof auf die Gräber zu legen.
    Jean traute sich nicht näherzukommen. Der Maître d’hôtel, der den Wagenschlag geöffnet hatte, war völlig niedergeschmettert, rührte keinen Finger.
    »Ach, Madame … Madame …«, stammelte er.
    »Wie ist’s? Wollt ihr sie da liegenlassen, oder? …«
    Warum, zum Teufel, setzte der Arzt ein ironisches L ä cheln auf?
    Maigret ließ seine Autorität spielen.
    »Los jetzt! Zwei Mann!« – Zum Chauffeur hin: »Sie!« dann zum Maître d’hôtel: »Und Sie! Tragt sie in ihr Zimmer …«
    Und während die beiden sich in das Coupé hineinbeugten, klingelte es in der Eingangshalle.
    »Telefon!. Seltsam, um diese frühe Zeit!« brummte Bouchardon.
    Jean traute sich nicht, an den Apparat zu gehen. Er schien wie betäubt. Und Maigret war es, der hineinlief, den Hörer abhob.
    »Hallo! … Ja, das Schloß …«
    Und eine ganz nahe Stimme:
    »Würden Sie mir meine Mutter geben? Sie muß von der Messe zurück sein …«
    »Wer ist am Apparat?«
    »Graf Saint-Fiacre … Übrigens geht Sie das nichts an … Geben Sie mir meine Mutter …«
    »Einen Augenblick … Würden Sie mir sagen, woher Sie anrufen?«
    »Aus Moulins! Aber, Sakrament, ich sage Ihnen doch …«
    »Sie kommen besser her!« stieß Maigret knapp hervor und hängte ein.
    Er mußte sich flach an die Wand drücken, um die zwei Dienstboten mit der Leiche durchzulassen.
    2
    Das Meßbuch
    K
    ommen Sie?« fragte der Arzt, sobald man die Tote auf ihr Bett gelegt hatte. »Jemand muß mir helfen, sie auszuziehen.«
    »Dafür sollte sich ein Zimmermädchen finden lassen!« erwiderte Maigret.
    Und wirklich, nachdem Jean in den oberen Stock gestiegen war, kehrte er wenig später mit einer etwa dreißigjährigen Frau zurück, die sich verstört umschaute.
    »Verschwindet!« brummte daraufhin der Kommissar den beiden anderen Dienstboten
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