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Maigret und die Affäre Saint Fiacre

Maigret und die Affäre Saint Fiacre

Titel: Maigret und die Affäre Saint Fiacre
Autoren: Georges Simenon
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… Der Arzt hat vorhin doch gesagt …«
    Er schien beunruhigt. Seine Gesten waren fahrig. Er griff hastig nach dem Papier, das Maigret ihm entgegenstreckte und das das Verbrechen ankündete.
    »Was soll das heißen? … Bouchardon redet von einem Herzstillstand, und …«
    »Ein Herzstillstand, den jemand vierzehn Tage früher voraussagen konnte!«
    Bauersleute schauten aus einiger Entfernung zu ihnen herüber. Die beiden Männer näherten sich langsam schlendernd der Kirche, ganz in ihre Überlegungen ve r tieft.
    »Wozu sind Sie heute früh ins Schloß gekommen?«
    »Das beschäftigt auch mich gerade«, erwiderte der junge Mann. »Sie haben mich vorhin gefragt, ob jemand … Na ja! … Es gibt jemand, der am Tode meiner Mu t ter interessiert ist … Das bin ich!«
    Er spöttelte nicht. Seine Miene war bekümmert. Er grüßte mit Namen einen Mann, der auf dem Fahrrad vorbeifuhr.
    »Da Sie von der Polizei sind, werden Sie die Situation schon erfaßt haben … Außerdem hat dieser gräßliche Bouchardon es sich bestimmt nicht nehmen lassen, zu tratschen … Mutter war eine bedauernswerte Frau … Mein Vater starb … Ich bin weggezogen … Alleingeblieben, muß sie meiner Meinung nach ein bißchen übergeschnappt sein … Anfänglich lief sie ständig in die Kirche … Dann …«
    »Die jungen Sekretäre!«
    »Ich glaube nicht, daß es das war, was Sie meinen und was Bouchardon zu unterstellen versucht … Nicht Ve r derbtheit … Sondern Zärtlichkeitsbedürfnis … Das Verlangen, jemanden zu umsorgen … Daß die jungen Männer das ausgenützt haben, um weiterzukommen … Und sehen Sie, es hat sie nicht davon abgehalten, fromm zu bleiben … Sie muß in arge Gewissensnöte geraten sein, hin und hergerissen zwischen ihrer Gottesfurcht und diesem … dieser …«
    »Sie sagten, daß der Tod in Ihrem Interesse? …«
    »Sie wissen, daß von unserem Vermögen nicht mehr viel übrig ist … Und Typen wie der junge Mann, den Sie eben gesehen haben, sind gefräßig … Wir können davon ausgehen, daß in drei, vier Jahren überhaupt nichts mehr dagewesen wäre …«
    Er war barhäuptig. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Dann, Maigret ins Gesicht schauend, fügte er nach kurzer Pause hinzu:
    »Ich brauche Ihnen bloß noch zu gestehen, daß ich heute hierherkam, um meine Mutter um vierzigtausend Franc zu bitten … Und diese vierzigtausend brauche ich, damit ein Scheck eingelöst werden kann, der sonst ungedeckt wäre … Sie sehen, wie sich da eines zum a n deren fügt …«
    Er riß einen Zweig von einer Hecke, an der sie entlanggingen. Er schien sich gewaltig zusammennehmen zu müssen, um unter der Last der Ereignisse die Nerven nicht zu verlieren.
    »Und zu alledem habe ich noch Marie Vassilew mit dabei!«
    »Marie Vassilew?«
    »Meine Freundin! Ich ließ sie in ihrem Bett, in Moulins … Sie ist imstande, alsbald einen Wagen zu mieten und hier aufzutauchen … Kurz, die Bescherung ist pe r fekt! …«
    Eben erst konnte man die Lampen löschen in Marie Tatins Gaststube, wo ein paar Männer Rum tranken. Der Autobus nach Moulins war zur Abfahrt bereit, halb leer.
    »Das. hat sie nicht verdient!« ließ sich Maurice nachdenklich vernehmen.
    »Wer?«
    »Mama!«
    Er hatte in diesem Augenblick etwas von einem Kind, trotz seiner Größe und Massigkeit. Möglicherweise war er nun doch endlich den Tränen nahe.
    Die beiden Männer gingen unweit der Kirche auf und ab, immer dieselbe Strecke, mal zum Teich hin, mal von ihm weg.
    »Sagen Sie, Kommissar! Es kann doch nicht sein, daß man sie umgebracht hat … oder dann ist mir unerklä r lich …«
    Das war es, worüber auch Maigret nachgrübelte, so intensiv, daß er gar nicht mehr an seinen Begleiter dachte. Er vergegenwärtigte sich die geringsten Einzelheiten der Frühmesse.
    Die Gräfin in ihrem Betstuhl … Niemand war ihr nahe gekommen … Sie hatte kommuniziert … Nachher war sie niedergekniet, das Gesicht zwischen den Händen … Dann hatte sie ihr Meßbuch aufgeschlagen … Ein wenig später lag ihr Gesicht abermals zwischen den Hä n den …
    »Entschuldigen Sie mich mal?«
    Maigret stieg die Außentreppe empor, betrat die Kirche, wo der Mesner schon den Altar zum nächsten Hoc h amt vorbereitete. Der Glöckner, ein linkischer Bauer in schweren Nagelschuhen, rückte die Stuhlreihen zurecht.
    Der Kommissar ging geradewegs zum Gestühl im Chor, beugte sich vor, rief den Mesner, der sich umwandte.
    »Wer hat das Meßbuch aufgelesen?«
    »Welches
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