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Maigret und die Affäre Saint Fiacre

Maigret und die Affäre Saint Fiacre

Titel: Maigret und die Affäre Saint Fiacre
Autoren: Georges Simenon
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zu, die nur zu gern g e horchten.
    Er hielt Jean am Ärmel zurück, musterte ihn von Kopf bis Fuß und zog ihn in eine Fensternische.
    »Wie stehen Sie mit dem Sohn der Gräfin?«
    »Aber … ich …«
    Der junge Mann war schmächtig, und sein gestreifter Schlafanzug, von zweifelhafter Sauberkeit, machte ihn nicht achtunggebietender. Sein Blick wich dem Maigrets aus. Er zog wie besessen an seinen Fingern, als wollte er sie verlängern.
    »Warten Sie!« unterbrach ihn der Kommissar. »Wir wollen ohne Umschweife miteinander reden, so sparen wir Zeit.«
    Hinter der schweren Eichentüre des Zimmers hörte man ein Hin und Her, das Ächzen von Sprungfedern, halblaute Anweisungen Dr. Bouchardons an das Zimmermädchen: die Tote wurde entkleidet.
    »Was ist eigentlich Ihre Stellung im Schloß? Wie lange sind Sie schon da?«
    »Vier Jahre …«
    »Kannten Sie die Gräfin Saint-Fiacre schon vorher?«
    »Ich … das heißt, gemeinsame Freunde haben mich ihr vorgestellt … Meine Eltern waren soeben durch den Konkurs einer Bank in Lyon ruiniert worden … Ich bin hier als Privatsekretär eingetreten, zur Betreuung der persönlichen Angelegenheiten der …«
    »Entschuldigen Sie! Was taten Sie vorher?«
    »Ich reiste … Ich schrieb Kunstkritiken …«
    Maigret lächelte nicht. Die Atmosphäre ließ ohnehin Ironie unangebracht erscheinen.
    Das Schloß war weitläufig. Von außen war es durchaus stattlich anzusehen. Aber innen wirkte es ebenso schäbig wie der Schlafanzug des jungen Mannes. Überall Staub, reizloses altes Zeug, ein Haufen nutzloser Dinge. Die Vorhänge waren zerschlissen.
    An den Wänden sah man hellere Stellen, die darauf hinwiesen, daß Möbelstücke weggeholt worden waren. Die schönsten selbstverständlich! Die, die noch irgen d welchen Wert hatten!
    »Sie sind der Liebhaber der Gräfin geworden …«
    »Jeder darf lieben, wen er …«
    »Blödian!« knurrte Maigret und wandte ihm den Rücken zu.
    Als ob nicht ohnehin völlig klar wäre, wie es stand! Man brauchte Jean bloß anzuschauen! Nur ein Weilchen die Luft des Schlosses einzuatmen! Und hin und wieder den Blick eines Dienstboten aufzufangen!
    »Wußten Sie, daß ihr Sohn kommen würde?«
    »Nein … Was soll mich das kümmern?«
    Und sein Blick war noch immer ausweichend. Mit der rechten Hand zerrte er an den Fingern der linken.
    »Ich möchte mich anziehen … Es ist kalt … Aber warum beschäftigt sich die Polizei mit …?«
    »Ja, gehen Sie sich anziehen, los!«
    Und Maigret drückte die Türe des Zimmers auf, vermied es, nach dem Bett zu schauen, auf dem die Tote völlig nackt dalag.
    Das Zimmer glich dem übrigen Haus: es war zu groß, zu kalt, vollgestopft mit alten Sachen, die nicht zusa m menpaßten.
    Als Maigret sich mit dem Ellbogen auf den Kaminsims stützen wollte, merkte er, daß der Marmor gebr o chen war.
    »Haben Sie etwas herausgefunden?« erkundigte sich der Kommissar bei Dr. Bouchardon. »Moment … M a demoiselle, würden Sie uns allein lassen!«
    Er schloß die Türe hinter dem Zimmermädchen, stellte sich dicht ans Fenster und ließ den Blick ziellos durch den Park voll welken Laubs und nebliger Feuchte wandern.
    »Ich kann nur bestätigen, was ich Ihnen schon vorher gesagt habe: Der Tod ist durch plötzlichen Herzstillstand verursacht worden.«
    »Und was hat den verursacht?«
    Der Arzt machte eine unbestimmte Geste, warf eine Decke über die Leiche, gesellte sich zu Maigret am Fe n ster und zündete seine Pfeife an.
    »Eine Aufregung vielleicht … Vielleicht die Kälte … War es in der Kirche kalt?«
    »Im Gegenteil! Selbstverständlich haben Sie nicht die geringste Verletzung festgestellt?«
    »Nichts!«
    »Nicht einmal den kaum sichtbaren Einstich einer Hohlnadel?«
    »Auch daran habe ich gedacht … Nichts! … Und die Gräfin hat keinerlei Gift geschluckt … Sie sehen, daß sich schwerlich behaupten ließe …«
    Maigrets Gesicht gab nicht nach. Draußen sah er zwischen den Bäumen das rote Dach des Verwalterhauses, in dem er zur Welt gekommen war.
    »Nur kurz … Die Verhältnisse hier im Schloß?« erkundigte er sich mit gedämpfter Stimme.
    »Sie wissen ebensoviel wie ich … Eine von jenen Frauen, die bis vierzig, fünfundvierzig wahre Muster von Wohlanständigkeit sind … Dann stirbt der Graf, der Sohn zieht zur Fortsetzung seiner Studien nach Paris …«
    »Und hier?«
    »Hier tauchen Sekretäre auf, mal für kürzere, mal für längere Zeit … Den letzten haben Sie ja gesehen …«
    »Das Vermögen?«
    »Auf dem
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