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Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet

Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet

Titel: Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet
Autoren: Georges Simenon
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übernachtet hat?«
    »Er hätte sich im Gästeregister eintragen müssen.«
    »Erinnert sich niemand an ihn?«
    Die Kassiererin entsann sich, daß jemand Nudeln ohne Butter verlangt hatte. Man hatte sie eigens zubereiten müssen.
    »Es war ein junger Mann. Er saß gleich links neben der Säule dort, und er sah kränklich aus.«
    Trotz der zunehmenden Hitze fühlte Maigret sich nicht mehr so gelangweilt und lahm wie in der Frühe.
    »Längliches Gesicht? Schmale Lippen?«
    »Ein Mund, dünn wie ein Schlitz, jawohl! So richtig verächtlich. Er wollte keinen Kaffee, keinen Likör, nichts. Die Sorte Gäste kennt man …«
    Maigret mußte an das Bild des Erstkommunikanten denken.
    Der Kommissar war fünfundvierzig und hatte sein halbes Leben in den verschiedensten Polizeiabteilungen verbracht: beim Sittendezernat, beim Streifendienst, bei der Fremdenpolizei, bei der Bahnpolizei, beim Spielüberwachungsdienst. Lange genug, um jede mystische Anwandlung im Keim zu ersticken und den Glauben an Intuition zu verlieren.
    Trotzdem verfolgten ihn jetzt diese beiden Bilder, Vater und Sohn. Ließen ihm keine Ruhe. Und immer diese Stimme, Madame Gallets Stimme, aus dem Hintergrund:
    »Er mußte Diät halten …«
    Aufs Geratewohl betrat er das Postamt und ließ sich mit dem Rathaus von Saint-Fargeau verbinden.
    »Kriminalpolizei! Können Sie mir sagen, wann Monsieur Gallet beerdigt wird?«
    »Morgen um acht.«
    »In Saint-Fargeau?«
    »Ja.«
    »Noch eine Frage! Wer ist am Apparat?«
    »Der Lehrer …«
    »Kennen Sie den jungen Gallet?«
    »Ja. Das heißt, ich bin ihm ein paarmal begegnet. Er war heute vormittag wegen der Formalitäten hier.«
    »Wie würden Sie ihn beschreiben?«
    »Wie bitte?«
    »Ist er groß? Mager?«
    »Ziemlich, ja.«
    »Trägt er eine Brille?«
    »Einen Augenblick! Ja, doch, ich erinnere mich. Eine Hornbrille.«
    »Wissen Sie zufällig, ob er krank ist?«
    »Wie soll ich das wissen. Er ist zwar bleich, gewiß, aber …«
    »Ich danke Ihnen.«
    Zehn Minuten später erschien der Kommissar wieder im ›Café du Commerce‹.
    »Sagen Sie, Madame, trug Ihr Samstagsgast eine Brille?«
    Die Kassiererin dachte angestrengt nach, schüttelte den Kopf.
    »Ja … Nein … Ich kann mich nicht erinnern. Im Sommer gehen hier so viele Leute ein und aus. Mir ist vor allem sein Mund aufgefallen. Ein richtiges Froschmaul, sagte ich zum Kellner …«
    Den Wegemacher zu finden, war schon schwieriger, da dieser sich mittlerweile in ein kleines Bistro hinter der Kirche verzogen hatte, um seine fünfzig Franc mit ein paar Zechgenossen zu verjubeln.
    »Sie sagten, der Mann habe eine Brille getragen.«
    »Der junge, ja! Nicht der alte …«
    »Was für eine Brille?«
    »Eine runde, wissen Sie, mit schwarzen Rändern …«
     
    Maigret hatte aufgeatmet, als man ihm am Morgen gesagt hatte, der Tote sei nach Hause transportiert worden.
    Da auch Madame Gallet, der Richter, der Arzt und die Polizeibeamten Sancerre verlassen hatten, hoffte er, sich endlich mit objektiven Tatsachen befassen zu können und nicht mehr von der Erinnerung an das seltsame Gesicht des Alten mit dem Spitzbart verfolgt zu werden.
    Um drei Uhr nachmittags bestieg er den Zug nach Saint – Fargeau.
    Zuerst hatte er nur Emile Gallets Foto gesehen. Dann die Hälfte seines Gesichts.
    Und jetzt würde er einen endgültig verschlossenen Sarg vorfinden.
    Als der Zug anfuhr, beschlich ihn indessen das peinliche Gefühl, daß er dem Toten nachlief.
    In Sancerre spendierte Monsieur Tardivon seinen besten Gästen einen Armagnac, während er seinem bekümmerten Herzen Luft machte.
    »Ein so seriöser Mann! Noch dazu ein Mann in unserem Alter! Und jetzt verschwindet er mir nichts dir nichts, ohne auch nur einen Blick in das Zimmer zu werfen … Wollen Sie die Stelle sehen, wo der Tote lag? … Hier! Sieht merkwürdig aus, wie? Die Kreidestriche haben die Beamten aus Nevers gemacht, bevor sie die Leiche entfernten … Vorsicht, nichts berühren! Man kann nie wissen, was einem blüht, wenn es um einen Mordfall geht.«

3
Henry Gallets Antworten
    Maigret hatte die Nacht auf den Mittwoch in seiner Wohnung am Boulevard Richard-Lenoir in Paris verbracht. Kurz vor acht Uhr morgens traf er in Saint-Fargeau ein. Beim Verlassen des Bahnhofs kam ihm ein Gedanke. Er machte kehrt.
    »Hat Monsieur Gallet oft die Bahn benutzt?« fragte er den Schalterbeamten.
    »Der Vater oder der Sohn?«
    »Der Vater.«
    »Er fuhr jeden Monat für drei Wochen weg, nach Rouen, mit einer Fahrkarte zweiter Klasse
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