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Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet

Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet

Titel: Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet
Autoren: Georges Simenon
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…«
    »Und der Sohn?«
    »Der kommt fast jeden Samstagabend mit einer Rückfahrkarte dritter Klasse aus Paris, und am Sonntag reist er mit dem letzten Zug wieder zurück … Ja, wer hätte das gedacht! … Wenn ich denke, daß er noch vor wenigen Wochen die Angelsaison eröffnet hat, am ersten Sonntag im Juni …«
    »Der Vater oder der Sohn?«
    »Der Vater natürlich! … Sehen Sie das blaue Boot zwischen den Bäumen? Das gehörte ihm. Jetzt wird jedermann es kaufen wollen. Er hat es selbst gezimmert, aus massivem Eichenholz, und allerlei selbstgebastelte Verbesserungen angebracht. Auch an den Angelgeräten.«
    Gewissenhaft fügte Maigret diesen neuen Charakterzug in das noch so unvollständige Bild, das er von dem Toten besaß. Er betrachtete das Boot, die Seine, versuchte sich vorzustellen, wie der Mann mit dem Spitzbart stundenlang reglos in seinem Kahn saß, die Angelrute in der Hand.
    Er wandte sich um und machte sich auf den Weg zur Villa Les Marguerites. Nach einer Weile bemerkte er, daß hinter ihm ein leerer Leichenwagen zweiter Klasse in die gleiche Richtung fuhr.
    Die Gegend war wie ausgestorben. Der einzige Mensch, den Maigret in der Umgebung des Hauses sah, war ein Mann, der einen Karren schob. Der Mann blieb stehen, als er den Leichenwagen erblickte. Sicher würde er auf den Trauerzug warten.
    Die Klingel war mit einem Tuch verhüllt. Die Haustür war schwarz drapiert, und auf dem Trauerflor prangte ein großen G in Silberstickerei.
    Auf soviel Pomp war Maigret nicht gefaßt gewesen. Beim Betreten der Diele fiel sein Blick auf ein Tablett mit einer einzigen, an der Ecke umgebogenen Visitenkarte, die den Namen des Bürgermeisters von Saint-Fargeau trug.
    Der Salon, den der Kommissar nun zum zweitenmal betrat, war in eine Abdankungshalle verwandelt worden. Die Möbel mit den Zierdecken hatte man vermutlich im Eßzimmer untergebracht. Die Wände waren mit schwarzen Tüchern verhängt. Der Sarg stand, von Kerzen umgeben, mitten im Zimmer.
    Das Ganze wirkte unheimlich und irgendwie fragwürdig. Vielleicht weil kein Trauergast anwesend war und weil man spürte, daß auch keiner kommen würde, obgleich der Leichenwagen schon vor dem Haus stand. Die einsame Visitenkarte mit Reliefdruck! Der silberne Flitter! Und auf jeder Seite des Sargs eine Silhouette: rechts Madame Gallet, ganz in Schwarz, einen Kreppschleier vor dem Gesicht, einen Rosenkranz aus matten Perlen in den Fingern. Links Henry Gallet, ebenfalls ganz in Schwarz.
    Lautlos trat Maigret näher, verneigte sich, tauchte einen Buchsbaumzweig ins Weihwasser und besprengte den Sarg. Er spürte, daß Mutter und Sohn ihn beobachteten. Aber niemand sprach ein Wort.
    Er zog sich in eine Ecke zurück und horchte mit einem Ohr auf die Geräusche von draußen, während er den jungen Mann zu mustern begann. Hin und wieder hörte man das Stampfen von Pferdehufen auf der Straße. Die Leichenträger unterhielten sich halblaut vor dem Fenster an der Sonne. Und in dem nur von Kerzen erhellten Totenzimmer schienen die unregelmäßigen Gesichtszüge des Sohnes noch verzerrter, die krankhafte Blässe seiner Haut noch fahler.
    Sein gescheiteltes Haar lag wie angeklebt an seinem Schädel. Die Stirn war hoch und höckerig. Seine Augen verschwanden fast hinter den dicken Gläsern der Hornbrille.
    Von Zeit zu Zeit hob Madame Gallet ein schwarzeingefaßtes Taschentuch und betupfte ihre Lider unter dem Schleier. Henrys Blick wanderte unstet über die Gegenstände im Zimmer, den Kommissar geflissentlich meidend. Maigret war erleichtert, als er die Schritte der Leichenträger hörte.
    Gleich darauf stieß die Bahre gegen die Korridorwände. Madame Gallet schluchzte auf. Ihr Sohn tätschelte ihre Schulter, ohne sie anzusehen.
    Der Kontrast zwischen dem zweitklassigen Prunk des Leichenwagens und den beiden Gestalten, die sich jetzt hinter einem sichtlich verwunderten Zeremonienmeister in Bewegung setzten, war geradezu beklemmend.
    Die Hitze hielt unvermindert an. Der Mann mit dem Karren bekreuzigte sich und verschwand in einer Seitenstraße. Langsam bewegte sich der winzige Trauerzug die »Hauptallee« hinunter, die so breit war, daß ganze Regimenter hätten defilieren können.
     
    Am Trauergottesdienst nahm Maigret nicht teil. Er überquerte den Platz vor der Kirche, wo ein paar Bauern wartend beisammenstanden, und betrat das Rathaus. Da er dort niemanden fand, holte er den Lehrer, der im Nebenamt den Bürgermeister vertrat, aus seinem Klassenzimmer, zur Freude der Schüler,
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