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Maigret und der Spion

Maigret und der Spion

Titel: Maigret und der Spion
Autoren: Georges Simenon
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ein verlegenes L ä cheln.
    »Jean muß seinen Lebensunterhalt verdienen! Wir haben kein Vermögen. Sie sind intelligent genug, um das zu begreifen, und ich bitte Sie, ihn in Ruhe zu la s sen. «
    »Kommst du? … « flüsterte Jean, der wie auf glühe n den Kohlen saß.
    »Ich schwöre Ihnen, Madame, daß wir … « , stamme l te Delfosse.
    »Um wieviel Uhr seid ihr heute nacht nach Hause g e kommen?«
    »Ich weiß nicht … Ein Uhr vielleicht.«
    »Jean hat schon zugegeben, daß es nach zwei Uhr morgens war!«
    »Ich muß jetzt ins Büro, Mutter … «
    Er hatte den Hut schon auf dem Kopf und stieß De l fosse in den Flur. Auch Monsieur Chabot erhob sich und zog seinen Mantel an.
    Draußen waren, wie auf allen Straßen Lüttichs um di e se Zeit, die Hausfrauen damit beschäftigt, die Ge h steige unter Wasser zu setzen und zu schrubben; Gem ü se- und Kohlekarren hielten vor den Türen, und die weithin hö r baren Rufe der Händler antworteten eina n der von einem Ende des Viertels zum anderen.
    »Und?«
    Die beiden Burschen waren um die nächste Ecke. Sie brauchten ihre Unruhe nicht mehr zu verbergen.
    »Nichts! In der Morgenzeitung steht noch nichts! Vielleicht hat man den … die … noch nicht … «
    Delfosse trug eine Studentenmütze mit großem Schirm. Um diese Zeit befanden sich alle Studenten auf dem Weg zur Universität. Auf der Maasbrücke bildeten sie fast einen geschlossenen Zug.
    »Meine Mutter ist außer sich … Vor allem auf dich ist sie böse!«
    Sie gingen über den Markt, schlängelten sich zw i schen den Gemüse- und Obstkörben hindurch und ze r traten unter ihren Füßen Kohl- und Salatblätter. Jean blickte starr vor sich hin.
    »Hör mal … Was ist mit dem Geld? Wir haben den fünfzehnten … «
    Sie wechselten zum anderen Gehsteig hinüber, weil sie an einem Tabakgeschäft vorbeikamen, in dem sie an die fünfzig Franc Schulden hatten.
    »Ich weiß, ich weiß. Heute früh habe ich in die Brie f tasche von meinem Vater geguckt: Da waren bloß große Scheine drin … «
    Und leiser fügte Delfosse hinzu:
    »Mach dir keine Sorgen … Gleich hernach gehe ich bei meinem Onkel in der Rue Léopold vorbei. Es kommt selten vor, daß ich nicht einen Augenblick allein im Geschäft bin … «
    Jean kannte das Geschäft, die größte Süßwarenhan d lung in Lüttich. Er stellte sich vor, wie sein Freund die Hand in der Ladenkasse verschwinden ließ.
    »Wann sehen wir uns?«
    »Ich warte um zwölf auf dich. «
    Sie langten bei der Kanzlei des Notars Lhoest an, wo Chabot arbeitete. Ohne sich anzusehen, gaben sie sich die Hand, und Jean hatte den unbehaglichen Eindruck, der Händedruck seines Freundes sei anders als sonst.
    Allerdings waren sie nun eben Komplizen!
    Jean hatte seinen Arbeitstisch im Vorzimmer. Als Dienstjüngster hatte er vor allem die Aufgabe, Briefma r ken auf Umschläge zu kleben, die Post zu sortieren und Botengänge in der Stadt zu erledigen.
    An diesem Morgen arbeitete er stumm und ohne j e mand anzublicken, als wollte er möglichst nicht auffa l len. Dabei achtete er besonders auf den Kanzleichef, e i nen Mann von etwa fünfzig Jahren, von dem er abhing.
    Um elf war noch nichts geschehen, aber kurz vor Mi t tag trat der Kanzleichef zu ihm hin.
    »Haben Sie die Abrechnung für die kleine Kasse, Chabot?«
    Seit dem Morgen hatte Jean eine Antwort vorbereitet, die er nun hersagte, ohne aufzublicken.
    »Entschuldigung, Monsieur Hosey, ich habe heute e i nen anderen Anzug angezogen und das Heft wie das Geld zu Hause vergessen. Ich gebe Ihnen alles heute nachmittag.«
    Er war leichenblaß. Der Kanzleichef wunderte sich darüber.
    »Sind Sie krank?«
    »Nein … Ich weiß nicht … Ein bißchen schon, vie l leicht … «
    Die kleine Kasse war ein Sonderetat der Kanzlei für Briefmarken, Einschreibegebühren und alle laufenden Ausgaben. Zweimal monatlich, am Fünfzehnten und Dreißigsten, händigte man Jean eine bestimmte Summe aus, und er trug die Zahlungen in ein kleines Heft ein.
    Die Angestellten brachen auf. Draußen sah sich der junge Mann nach Delfosse um, entdeckte ihn nicht weit vom Schaufenster des Tabakgeschäftes, eine Zigarette mit Goldmundstück rauchend.
    »Nun?«
    »Hier ist alles bezahlt!«
    Sie schritten aus. Sie hatten das Bedürfnis, in der Menschenmenge mitzutreiben.
    »Komm mit ins ›Pélican‹. Ich war bei meinem Onkel, hatte aber nur wenige Sekunden lang Zeit. Also hab ich ganz rasch in die Kasse gegriffen und, ohne es zu wollen, zuviel erwischt …
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