Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret und der Spion

Maigret und der Spion

Titel: Maigret und der Spion
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
Hintertüre zur Seitengasse zu verriegeln. Er drehte den Schlüssel, ließ ihn aber im Schloß stecken.
    Würde er nicht automatisch auch den Keller a b schließen oder zumindest rasch einen Blick hinunterwerfen? Seine Schritte halten kurz inne. Wahrscheinlich zieht er vor dem Spiegel kurz seinen Scheitel nach. Er hustet. Dann quietscht die Tür zum Saal.
    In fünf Minuten würde Schluß sein, der Italiener als letzter das Lokal verlassen und von der Straße aus den Haupteingang abgeschlossen haben.
    Aber nie nimmt er den ganzen Kasseninhalt mit. Er steckt bloß die Tausendfranc-Scheine in seine Brieft a sche. Der Rest bleibt in einer Schublade der Bar zurück, einer Schublade, deren Schloß so schwach ist, daß es sich mit jedem guten Taschenmesser aufbrechen läßt.
    Und alle Lampen sind gelöscht.
     
    »Komm!« murmelt Delfosse.
    »Noch nicht. Warte!«
    Sie sind nun allein im Gebäude, flüstern aber noch immer. Sehen können sie sich nicht. Doch jeder von i h nen spürt, daß er kreidebleich ist, mit abgespannten Z ü gen und trockenen Lippen.
    »Wenn noch jemand da wäre?«
    »Hab ich Angst gehabt, als es um den Geldschrank meines Vaters ging?«
    Delfosse klingt gehässig, fast bedrohlich.
    Es ist wie ein Schwindelanfall. Chabot fühlt sich ü b ler, als wenn er zuviel getrunken hat. Jetzt, nachdem er sich im Keller versteckt hat, traut er sich nicht mehr, ihn zu verlassen. Er hätte sich auf die Treppe setzen und in Tränen ausbrechen mögen.
    »Also los!«
    »Warte! Er könnte zurückkommen.«
    Fünf Minuten verstreichen. Dann nochmals fünf M i nuten, weil Chabot mit allen Mitteln versucht, Zeit zu gewinnen. Sein Schuhnestel ist aufgegangen. Er bindet ihn neu, ohne etwas zu sehen, weil er fürchtet, zu sto l pern und Lärm zu machen.
    »Ich hab dich für weniger feig gehalten … Los! Du zuerst … «
    Denn Delfosse will nicht als erster hinaus. Mit zi t ternden Händen schiebt er seinen Kumpan vor sich her. Die Kellertür ist offen. In der Toilette läuft ein Wasse r hahn. Es riecht nach Seife und Desinfektionsmitteln.
    Chabot weiß, daß die andere Tür, jene zum Saal, quietschen wird. Er ist darauf gefaßt. Trotzdem läuft es ihm kalt über den Rücken.
    In der Dunkelheit wirkt der Saal riesig wie eine K a thedrale. Sie spüren eine gewaltige Leere. Die Heizkö r per strahlen noch etwas Wärme ab.
    »Licht!« haucht Chabot.
    Delfosse streicht ein Zündholz an. Sie halten einen Augenblick inne, um Atem zu schöpfen, um die Strecke bis zur Bar übersehen zu können. Doch plötzlich fällt das Streichholz zu Boden, indessen Delfosse einen ge l lenden Schrei ausstößt und zur Toilettentür stürzt. Im Dunkeln findet er sie nicht. Er kehrt um, prallt auf Chabot.
    »Schnell! Raus!«
    Es ist mehr ein heiseres Krächzen.
    Auch Chabot hat etwas gesehen, allerdings nur u n deutlich. Etwas wie einen menschlichen Körper, am B o den, vor der Bar … tiefschwarzes Haar …
    Sie wagen nicht mehr, sich zu rühren. Die Streic h holzschachtel ist irgendwohin gefallen, aber nicht zu s e hen.
    »Deine Streichhölzer!«
    »Ich hab keine mehr … «
    Der eine von ihnen stößt an einen Stuhl. Der andere fragt:
    »Bist du das?«
    »Hierher … Ich hab die Tür gefunden … «
    Der Wasserhahn läuft noch immer. Schon das wirkt beruhigend. Die Erlösung rückt näher.
    »Wollen wir Licht machen?«
    »Bist du verrückt?«
    Tastende Hände suchen den Riegel.
    »Er geht schwer … «
    Schritte auf der Straße. Sie rühren sich nicht, warten, hören Gesprächsfetzen:
    » … und ich behaupte, wenn England nicht … «
    Die Stimmen entfernen sich. Vielleicht sind es Poliz i sten, die sich auf ihrer Runde über Politik unterhalten.
    »Machst du jetzt endlich auf?«
    Aber Delfosse ist keiner Bewegung mehr fähig. Er lehnt an der Tür und hält mit beiden Händen seine keuchende Brust.
    »Sein Mund stand weit offen … « , stammelt er.
    Der Riegel gibt nach. Frische Luft. Der Widerschein einer Straßenlaterne auf dem Pflaster der Seitengasse. Beide möchten nur noch davonrennen. Sie denken nicht einmal mehr daran, die Tür wieder zuzumachen.
    Aber dort, an der Ecke, liegt die Rue du Pontd’Avroy, noch recht belebt. Sie sehen sich nicht an. Chabot hat das Gefühl, sein Körper sei leer und er vollführe hilflose Bewegungen in einem Meer von Watte. Sogar die G e räusche kommen wie von weither.
    »Meinst du, er ist tot? … Ist es der Türke?«
    »Ja, der! … Ich hab ihn erkannt … Sein Mund stand offen … Und ein Auge … «
    »Was
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher