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Maigret und der Spion

Maigret und der Spion

Titel: Maigret und der Spion
Autoren: Georges Simenon
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gegessen, mit Freunden. «
    Seine Mutter dreht sich im Schlaf auf die andere Seite und zerdrückt dabei ihren Haarknoten auf dem Kopfki s sen.
    »Gute Nacht!«
    Er kann nicht mehr. In seinem Zimmer macht er nicht einmal Licht. Achtlos läßt er die Jacke fallen, legt sich aufs Bett und vergräbt den Kopf im Kissen.
    Er weint nicht. Das ist ihm nicht gegeben. Dafür ringt er schwer nach Luft. Er zittert an allen Gliedern, er hat Schüttelfrost, als wäre eine schwere Krankheit im Anzug.
    Wenn nur die Bettfedern nicht ächzen. Wenn er nur den Schluckauf unterdrücken kann, den er in der Kehle aufsteigen fühlt. Denn er ahnt, daß sein Vater, der kaum je schläft, im Nebenzimmer liegt und lauscht.
    Ein Bild wächst vor seinem geistigen Auge auf, ein Wort widerhallt, schwillt an, nimmt so ungeheuerliche Proportionen an, daß ihn das Ganze zu zermalmen droht: der Türke! …
    Es drängt, es drückt, es würgt, es bedrängt ihn von a l len Seiten, bis die Sonne durchs schräge Dachfenster fällt und Jeans Vater am Fußende des Bettes versucht, nicht allzu streng zu wirken, indes er murmelt:
    »Das solltest du nicht tun, mein Sohn! … Du hast wieder getrunken, nicht wahr? Nicht einmal ausgezogen hast du dich! … «
    Aus dem Erdgeschoß steigt der Duft von Kaffee und Eiern mit Speck herauf. Lastkraftwagen fahren auf der Straße vorbei. Türen schlagen. Ein Hahn kräht.
    2
    Die kleine Kasse
    Jean Chabot stieß den Teller zurück, stützte die Ellb o gen auf und starrte hinaus auf den kleinen Hof, den man durch die Tüllvorhänge sah und dessen weiße Tü n che in der Sonne schimmerte.
    Sein Vater beobachtete ihn verstohlen, während er aß, und versuchte zugleich, etwas wie eine Unterhaltung in Gang zu bringen.
    »Weißt du, ob das große Gebäude in der Rue Féro n strée tatsächlich verkauft werden muß? Ich wurde g e stern im Büro danach gefragt. Vielleicht könntest du dich einmal erkundigen … «
    Doch Madame Chabot, die ihren Sohn ebenfalls nicht aus den Augen ließ, während sie das Gemüse für die Su p pe putzte, fiel ihm ins Wort: »Du ißt ja gar nichts!«
    »Ich hab keinen Hunger, Mutter.«
    »Weil du heute nacht wieder betrunken warst, wah r scheinlich! Stimmt’s?«
    »Nein.«
    »Glaubst du, man sieht’s dir nicht an? Deine Augen sind ganz rot!
    Und dein Gesicht ist weiß wie die Wand! Dabei gibt man sich alle Mühe, dich aufzupäppeln! Komm, iß w e nigstens die Eier … «
    Für kein Geld der Welt hätte Jean das vermocht. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Und die behäbige A t mosphäre des Hauses, der Duft von gebratenem Speck und Kaffee, die weiße Wand, die Suppe, die zu kochen anfing, all das verursachte ihm eine Art Übelkeit.
    Es drängte ihn, hinauszukommen, vor allem, B e scheid zu wissen. Beim leisesten Geräusch auf der Straße fuhr er zusammen.
    »Ich muß fort.«
    »Es ist noch nicht Zeit. Du warst gestern abend mit Delfosse zusammen, nicht wahr? … Der soll mir noc h mals herkommen, um dich abzuholen! … So ein Nicht s tuer, der die Zeit verbummelt, weil seine Eltern reich sind! Ein verdorbener Bursche! … Der muß nicht in der Frühe aus den Federn, um ins Büro zu gehen.«
    Monsieur Chabot sagte nichts und hielt beim Essen den Blick auf den Teller gesenkt, um nicht Partei ergre i fen zu müssen. Einer der Untermieter vom ersten Stock kam herunter, ein polnischer Student, der gleich auf die Straße trat und Richtung Universität davonging. Man hörte e i nen anderen sich gerade über der Küche anzi e hen.
    »Du wirst sehen, Jean, das nimmt kein gutes Ende! Frag deinen Vater, ob er sich in deinem Alter so die Nächte um die Ohren geschlagen hat.«
    Jean Chabot hatte tatsächlich rotgeäderte Augen und abgespannte Züge. Auf seiner Stirn prangte ein roter Pickel.
    »Ich gehe jetzt!« wiederholte er und sah auf die Uhr.
    In diesem Augenblick klopfte jemand an den Briefk a sten, der in die Haustür eingelassen war. So meldeten sich die alten Bekannten; die Klingel war für die Fre m den da. Jean ging eiligst öffnen und sah sich Delfosse gegenüber, der fragte:
    »Kommst du?«
    »Ja, ich hol nur noch meinen Hut.«
    »Kommen Sie herein, Delfosse!« rief Madame Chabot aus der Küche.
    »Eben sagte ich zu Jean, daß das endlich ein Ende h a ben muß. Wenn das so weitergeht, ruiniert er sich seine Gesundheit. Wenn Sie sich die Nächte um die Ohren schlagen, ist das Sache Ihrer Eltern. Aber Jean … «
    Delfosse, aufgeschossen und mager, noch bleicher als Chabot, senkte den Kopf und zeigte
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