Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Titel: Maigret und der geheimnisvolle Kapitän
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
Die Tür wurde aufgestoßen. Ein dunkles Etwas huschte vorbei, streifte Maigrets Beine. Julie, die schon im Flur stand, knipste das elektrische Licht an, blickte verwundert zu Boden, murmelte:
    »Das war doch die Katze, die da eben raus ist, nicht wahr?«
    Und während sie das sagte, entledigte sie sich mit gewohnten Griffen ihres Hutes und ihres Mantels, hängte alles an den Kleiderhaken, öffnete die Tür zur Küche, machte dort Licht und wies damit unbewußt darauf hin, daß sich die Gäste des Hauses für gewöhnlich in diesem Raum aufhielten.
    Eine helle Küche mit gekachelten Wänden, ein großer Tisch aus rohem, mit Sand abgeschmirgeltem Holz, blinkendes Kupfer. Der Kapitän begab sich automatisch zu seinem Korbsessel neben dem Ofen und ließ sich darin nieder.
    »Dabei bin ich ganz sicher, daß ich die Katze wie immer hinausgesperrt habe, als ich ging.«
    Sie sprach mit sich selbst, war beunruhigt.
    »Ja, ganz bestimmt. Alle Türen waren gut verschlossen. Bitte, Herr Kommissar, würden Sie mit mir durchs Haus gehen? Ich habe Angst.«
    Ihre Angst war so groß, daß sie sich kaum traute, vorauszugehen. Sie öffnete die Tür ins Eßzimmer, wo die tadellose Ordnung, das allzuglänzende Parkett und die polierten Möbel darauf hinwiesen, daß es nie benutzt wurde.
    »Sehen Sie hinter den Vorhängen nach, bitte?«
    Ein Klavier, Kunstgegenstände aus Chinalack und Porzellan, die der Kapitän aus dem Fernen Osten mitgebracht haben mußte.
    Dann das Wohnzimmer, ebenso ordentlich, das Mobiliar im selben Zustand wie im Schaufenster des Geschäfts, in dem es gekauft worden war. Der Kapitän folgte ihnen mit zufriedenem, fast albernem Gesichtsausdruck. Sie stiegen die Treppe hinauf, deren Stufen mit einem roten Läufer ausgelegt waren. Oben gab es drei Zimmer, von denen eines unbewohnt war.
    Und überall diese Sauberkeit, diese penible Ordnung, ein milder Geruch von Ländlichkeit und Küche.
    Niemand hielt sich versteckt. Die Fenster waren fest verschlossen. Die Tür zum Garten war ebenfalls abgeschlossen, aber der Schlüssel steckte draußen.
    »Die Katze wird durch ein Kellerfenster hereingeschlüpft sein«, meinte Maigret.
    »Es gibt keines.«
    Sie kehrten in die Küche zurück. Julie öffnete einen Wandschrank.
    »Darf ich Ihnen ein Gläschen zu trinken anbieten?«
    Und in diesem Augenblick, mitten in ihrem gewohnten Hin und Her, während sie winzigkleine, blumenbemalte Gläser füllte, brach die tiefe Verzweiflung aus ihr heraus, und sie zerfloß in Tränen.
    Sie sah sich verstohlen nach dem Kapitän um, der in seinem Sessel saß. Dieser Anblick schmerzte sie so sehr, daß sie den Kopf abwandte. Um auf andere Gedanken zu kommen, stammelte sie:
    »Ich werde Ihnen das Gästezimmer herrichten.«
    Sie sagte es unter Schluchzen. Sie nahm eine weiße Schürze von einem Haken an der Wand, um sich damit die Augen zu wischen.
    »Ich nehme mir lieber ein Hotelzimmer. Es gibt hier doch ein Hotel, vermute ich.«
    Sie blickte auf eine kleine Porzellanuhr von der Art, wie man sie auf Jahrmärkten gewinnt, und deren Ticken Bestandteil der häuslichen Geräuschkulisse war.
    »Ja. Um diese Zeit ist dort bestimmt noch jemand auf. Es steht auf der anderen Seite der Schleuse, gleich hinter der Kneipe, die Sie gesehen haben.«
    Dennoch war sie nahe daran, ihn zurückzuhalten. Sie schien sich davor zu fürchten, mit dem Kapitän allein zu bleiben, den sie nicht mehr anzusehen wagte.
    »Glauben Sie bestimmt, daß niemand im Haus ist?«
    »Sie haben sich selbst davon überzeugen können.«
    »Kommen Sie morgen früh wieder?«
    Sie brachte ihn bis zur Tür, die sie schnell hinter ihm schloß. Und Maigret versank in einem so dichten Nebel, daß er nicht sah, wohin er die Füße setzte. Trotzdem fand er das Gartentor. Er spürte erst Gras unter den Füßen, dann den geschotterten Weg. Gleichzeitig vernahm er ein weitentferntes Heulen, dessen Bedeutung er eine ganze Weile nicht erriet.
    Es klang wie das Brüllen eines Rindes, nur viel verzweifelter, tragischer.
    »Dummkopf!« schalt er sich selbst. »Das ist nichts weiter als das Nebelhorn.«
    Es kostete ihn Mühe, sich zurechtzufinden. Direkt unter seinen Füßen sah er das Wasser, das zu dampfen schien. Er stand auf der Schleusenmauer. Irgendwo hörte er Kurbeln quietschen. Er erinnerte sich nicht mehr an die Stelle, wo er mit dem Auto das Wasser überquert hatte. Und als er einen Steg erblickte, ging er darauf zu.
    »Vorsicht!«
    Es war unheimlich! Denn die Stimme war ganz nah. Obwohl er das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher