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Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Titel: Maigret und der geheimnisvolle Kapitän
Autoren: Georges Simenon
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aus Punta Arenas.
    Ein Brief der Banque de Normandie in Caen. Ein mit Maschine ausgefüllter Vordruck.
    »… freut uns Ihnen bestätigen zu können, daß wir Ihrem Konto Nr. 14173 den Betrag von dreihunderttausend Francs gutgeschrieben haben, den Sie von der Niederländ i schen Bank in Hamburg haben überweisen lassen.«
    Und dabei hatte Julie schon zehnmal wiederholt, daß der Kapitän nicht reich sei! Maigrets Blick wechselte zwischen diesen beiden ihm gegenübersitzenden Wesen.
    Der Kabeljaurogen … Hamburg … Die in Deutschland hergestellten Schuhe …
    Und Joris, der einzige, der Licht in all das bringen könnte. Joris, der den Mund zu einem offenen, freundlichen Lächeln verzog, als er merkte, daß Maigret ihn beobachtete.
    »Caen! Die Fahrgäste nach Cherbourg bitte sitzen bleiben! … Die Reisenden nach Ouistreham, Lion-sur-Mer, Luc …«
    Es war sieben Uhr. Der Nebel war so dicht, daß der Schein der Lampen auf dem Bahnsteig kaum durch den milchigen Schleier drang.
    »Mit welchem Transportmittel kommen wir jetzt weiter?« fragte Maigret Julie mitten im Gedränge.
    »Es gibt keines mehr. Im Winter fährt die Kleinbahn die Strecke nur zweimal am Tag.«
    Vor dem Bahnhof standen Taxis. Maigret war hungrig. Er wußte nicht, was man ihm später anbieten würde, und so zog er es vor, am Bahnhofsbüffet zu Abend zu essen.
    Kapitän Joris war von stetiger Fügsamkeit. Er aß, was man ihm hinstellte, war wie ein Kind, das jenen, die es führen, vertraut. Ein Bahnbeamter strich ein paarmal um den Tisch herum, musterte ihn, trat zu Maigret.
    »Ist das nicht der Hafenmeister von Ouistreham?«
    Und er tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. Als ihm die Frage bejaht worden war, ging er beeindruckt davon. Julie hingegen klammerte sich an Alltäglichkeiten.
    »Zwölf Francs für so ein Abendessen, das nicht einmal mit Butter zubereitet ist! Als ob wir mit dem Essen nicht hätten warten können, bis wir zu Hause sind!«
    Maigret überlegte im gleichen Augenblick:
    »Eine Kugel in den Kopf … Dreihunderttausend Francs …«
    Und sein scharfer Blick forschte in Joris’ unschuldigen Augen, während sich seine Lippen drohend zusammenzogen.
    Das Taxi, das vorfuhr, war eine ehemalige Herrschaftslimousine mit durchgesessenen Polstern und knarrenden Achsen. Die drei Fahrgäste zwängten sich auf die Hinterbank, denn die Klappsitze waren ausgehängt. Julie war zwischen den beiden Männern eingekeilt, die sie fast erdrückten.
    Je näher sie dem Ziel kamen, desto mehr wurde Julie von ihren Haushaltssorgen ergriffen.
    »Ich überlege gerade, ob ich das Gartentor abgeschlossen habe«, murmelte sie.
    Als sie aus der Stadt herausfuhren, gruben sie sich buchstäblich in eine Nebelwand. Kaum zwei Meter vor ihnen tauchten plötzlich ein Pferd und eine Karre auf. Ein Geisterpferd! Eine Geisterkarre! Und es waren Geisterbäume und Geisterhäuser, die zu beiden Seiten der Straße vorüberhuschten.
    Der Fahrer drosselte das Tempo. Sie fuhren mit höchstens zehn Stundenkilomtern, und dennoch schoß plötzlich ein Radfahrer aus dem Nebel und streifte einen der Kotflügel. Sie hielten an. Er war nicht verletzt.
    Sie durchfuhren das Dorf von Ouistreham. Julie drehte die Trennscheibe herunter.
    »Fahren Sie bis zum Hafen und dann über die Drehbrücke. Halten Sie vor dem Haus gleich neben dem Leuchtturm.«
    Die Straße zwischen Dorf und Hafen, deren Verlauf die bleichen Lichtpunkte der Gaslaternen anzeigten, zog sich auf etwa einem Kilometer Länge durch die Einsamkeit dahin. An der Ecke vor der Brücke ein hell erleuchtetes Fenster, Lärm.
    »Die Seemannskneipe«, sagte Julie. »Dort halten sich die vom Hafen die meiste Zeit auf.«
    Jenseits der Brücke konnte man kaum noch von einer Straße sprechen. Der Weg verlor sich in den Sümpfen der Orne-Mündung.
    Es gab nur den Leuchtturm und ein von einem Garten umgebenes zweistöckiges Haus. Das Auto hielt an. Maigret beobachtete seinen Begleiter, der wie selbstverständlich ausstieg und auf das Gartentor zuging.
    »Haben Sie gesehen, Herr Kommissar?« rief Julie freudestrahlend aus. »Er hat das Haus wiedererkannt! Ich bin sicher, daß er schließlich wieder ganz er selbst wird!«
    Und sie steckte den Schlüssel ins Schloß, stieß das quietschende Tor auf, folgte dem kiesbestreuten Weg. Maigret bezahlte den Taxifahrer und ging ihr dann schnell nach. Als das Auto abgefahren war, war es stockfinster.
    »Würden Sie ein Streichholz anzünden? Ich finde das Schloß nicht.«
    Eine kleine Flamme.
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