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Maigret und das Verbrechen in Holland

Maigret und das Verbrechen in Holland

Titel: Maigret und das Verbrechen in Holland
Autoren: Georges Simenon
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abend zurück. Die beiden Knechte sind auf dem Kanal und laden Kohle ab. Das Mädchen macht Einkäufe. Und ausgerechnet jetzt kalbt die Kuh! Damit hatten wir nicht gerechnet. Ich bin ganz allein …«
    Sie hatte sich an eine Winde gelehnt, die sie auf alle Fälle vorbereitet hatte, falls das Tier Unterstützung brauchte. Sie lächelte strahlend.
    Draußen schien die Sonne. Ihre Stiefel glänzten. Sie hatte dickliche, rosige Hände mit gepflegten Fingern ä geln.
    »Es ist wegen Conrad Popinga …«
    Sie runzelte die Stirn. Die Kuh hatte versucht aufz u stehen und war schwerfällig wieder zurückgefallen.
    »Passen Sie auf … Wollen Sie mir helfen?«
    Sie nahm die bereitliegenden Gummihandschuhe.
     
    So fing Maigret diese Untersuchung damit an, daß er zusammen mit einem jungen Mädchen, dessen sichere Bewegungen sportliches Training verrieten, einem rei n rassigen friesischen Kalb auf die Welt half.
    Eine halbe Stunde später, als das neugeborene Tier schon die Zitzen seiner Mutter suchte, stand er neben Beetje über einen Wasserhahn gebeugt und seifte sich die Arme bis zu den Ellbogen ein.
    »Haben Sie das zum ersten Mal gemacht?« scherzte sie.
    »Zum ersten Mal.«
    Sie war achtzehn Jahre alt. Als sie ihre weiße Schürze auszog, zeichneten sich unter ihrem Seidenkleid volle Formen ab, die vielleicht wegen der Sonne etwas äußerst Verlockendes an sich hatten.
    »Wir können beim Tee reden. Kommen Sie ins Haus.«
    Das Mädchen war nach Hause gekommen. Das Wohnzimmer war streng und etwas dunkel, aber g e pflegt eingerichtet. Die kleinen Fensterscheiben waren kaum merklich rosa getönt, wie es Maigret noch nie g e sehen hatte.
    Ein Schrank voll mit Büchern. Zahlreiche Werke über Viehzucht und Tiermedizin. An den Wänden Goldm e daillen von internationalen Ausstellungen und Diplome.
    Dazwischen die neuesten Werke von Claudel, von André Gide, von Valéry.
    Beetje lächelte kokett.
    »Möchten Sie mein Zimmer sehen?«
    Und sie beobachtete, was es für einen Eindruck auf ihn machte. Kein Bett, sondern ein mit blauem Samt bezogenes Sofa. Die Wände mit bedruckten Stoff tap e ten bespannt. Dunkle Regale und wiederum Bücher, e i ne Puppe aus Paris, ganz in Seide.
    Beinahe ein Boudoir, doch mit einer etwas schweren, soliden und bedächtigen Atmosphäre.
    »Ist es nicht wie in Paris?«
    »Würden Sie mir erzählen, was letzte Woche passiert ist …«
    Beetjes Gesicht verdüsterte sich, aber nicht sehr, nicht genug, um den Anschein zu erwecken, sie nehme die Ereignisse tragisch.
    Hätte sie sonst so stolz gelächelt, als sie ihr Zimmer vorzeigte?
    »Trinken wir Tee!«
    Und sie setzten sich einander gegenüber, vor die Te e kanne, die mit einer Art Krinoline zugedeckt war, damit der Tee nicht kalt wurde.
    Beetje mußte nach den Wörtern suchen. Es ging aber schon besser. Sie bewaffnete sich mit einem Wörterbuch und suchte manchmal längere Zeit, bis sie den genauen Ausdruck gefunden hatte.
    Auf dem Kanal fuhr ein Schiff vorbei, das von einem großen grauen Segel überragt wurde. Da kein Wind ging, wurde mit Staken nachgeholfen. Das Schiff suchte sich e i nen Weg durch die Baumstämme, die den Fluß blockie r ten.
    »Sind Sie schon bei den Popingas gewesen?«
    »Ich bin vor einer Stunde hier angekommen und ha t te bisher erst Zeit, Ihrer Kuh beim Kalben zu helfen.«
    »Ja – Conrad war ein reizender, ein wirklich sympath i scher Mann. Früher ist er in allen Ländern herumgekommen, erst als Zweiter, dann als Erster Offizier … Sagen Sie auch so in Französisch? … Als er dann sein Kapitänspatent bekam, hat er geheiratet und wegen se i ner Frau eine Stelle als Lehrer an der Marineschule ang e nommen … Keine so gute Stellung … Er hat eine kleine Jacht gehabt. Aber Madame Popinga hatte Angst vor dem Wasser. Er hat die Jacht verkaufen müssen. Er hatte nur noch ein Boot auf dem Kanal … Haben Sie meins gesehen? … Beinahe dasselbe! … Abends gab er den Schülern noch Privatunterricht. Er arbeitete viel.«
    »Wie war er?«
    Sie verstand nicht gleich. Schließlich holte sie ein F o to, auf dem ein großer, pausbäckiger Mann mit hellen Augen und kurzem Haar abgebildet war, der auffallend gutmütig und gesund aussah.
    »Das ist Conrad … Man würde nicht meinen, daß er vierzig ist, nicht wahr? … Seine Frau ist älter, vielleicht fünfundvierzig. Haben Sie sie gesehen? … Und sie ist ganz anders. Zum Beispiel: Hier sind alle protestantisch. Ich gehöre der modernen Kirche an. Liesbeth Popinga dagegen gehört einer
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