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Maigret und das Verbrechen in Holland

Maigret und das Verbrechen in Holland

Titel: Maigret und das Verbrechen in Holland
Autoren: Georges Simenon
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Schluchzen zu unterdrücken. Any rührte sich nicht.
    »Entschuldigen Sie! Ich komme ein andermal …«
    Madame Popinga schüttelte den Kopf. Sie bemühte sich, ihre Selbstbeherrschung wiederzugewinnen. Sie mußte ein paar Jahre älter sein als ihre Schwester. Sie war groß und viel fraulicher. Sie hatte ein regelmäßiges Gesicht, einen ganz leichten Ausschlag auf den Wangen und ein paar graue Haare.
    Und eine zurückhaltende Vornehmheit in ihrem B e nehmen! Maigret erinnerte sich, daß sie die Tochter e i nes Schuldirektors war, mehrere Sprachen fließend sprach und sehr gebildet war. Trotzdem war sie schüc h tern wie eine Kleinstädterin, die sich von einer Kleini g keit einschüchtern läßt.
    Er erinnerte sich auch, daß sie der strengsten refo r mierten Religionsgemeinschaft angehörte, Vorsitzende der Wohltätigkeitsvereine von Delfzijl und der intelle k tuellen Frauenzirkel war.
    Sie hatte sich wieder in der Gewalt. Sie schaute ihre Schwester an, wie um sie um Beistand zu bitten.
    »Entschuldigen Sie! … Aber es ist unfaßlich, nicht wahr? … Conrad! … Ein Mann, den alle mochten!«
    Ihr Blick fiel auf das Radio, das in einer Ecke stand, und sie brach beinahe in Tränen aus.
    »Das war sein einziges Vergnügen«, stammelte sie. »Und sein Boot, im Sommer, am Abend, auf dem A m steldiep. Er hatte viel zu tun … Wer kann das nur getan haben?«
    Und als Maigret nichts sagte, redete sie, etwas lebha f ter aussehend, in dem Ton weiter, den sie angeschlagen hätte, wenn man sie gerichtlich belangt hätte:
    »Ich beschuldige niemanden. Ich weiß nicht … Ich will es nicht glauben, verstehen Sie? … Die Polizei hat an Professor Duclos gedacht, weil er mit dem Revolver in der Hand herauskam. Es ist so entsetzlich! Jemand hat Conrad ermordet! Warum? … Warum ihn? … Und nicht einmal, um etwas zu stehlen! Warum dann? …«
    »Sie haben der Polizei erzählt, was Sie vom Fenster aus gesehen haben …«
    Wieder wurde sie rot. Sie hielt sich aufrecht, stützte sich mit einer Hand auf den gedeckten Tisch.
    »Ich wußte nicht, ob es notwendig war. Ich glaube nicht, daß Beetje etwas getan hat. Ich habe nur zufällig gesehen … Man hat mir gesagt, die kleinsten Kleinigke i ten könnten bei einer Untersuchung von Nutzen sein. Ich habe den Pastor um Rat gefragt. Er hat mir gesagt, ich soll es erzählen. Beetje ist ein gutes Mädchen. Ich wüßte wirklich nicht, wer … Bestimmt jemand, der in ein Irrenhaus gehört.«
    Sie redete ohne Stocken. Ihr Französisch war korrekt und von einem ganz leichten Akzent gefärbt.
    »Any erzählte mir, daß Sie aus Paris gekommen sind! Wegen Conrad! Ich kann es kaum glauben!«
    Sie war ruhiger geworden. Ihre Schwester saß immer noch in derselben Ecke des Zimmers und rührte sich nicht. Maigret konnte sie nur über einen Spiegel teilwe i se sehen.
    »Sie müssen sicher das Haus sehen?«
    Sie hatte sich schon damit abgefunden. Doch seufzte sie:
    »Wenn Sie mit Any gehen wollen …«
    Ein schwarzes Kleid ging dem Kommissar voraus. Er folgte ihm auf einer mit einem neuen Teppich ausgele g ten Treppe. Das Haus, das noch keine zehn Jahre alt war und wie eine Nippsache wirkte, war leicht gebaut, aus Hohlziegeln und Tannenholz. Aber die Anstriche der Holztäfelungen gaben dem Ganzen ein frisches Auss e hen.
    Die Badezimmertür wurde zuerst geöffnet. Der Hol z deckel lag auf der Badewanne, die so zu einem Büge l tisch wurde. Maigret beugte sich zum Fenster hinaus, sah den Fahrradschuppen, den gepflegten Gemüsegarten und hinter den Feldern Delfzijl, wo kein einziges Haus mehr als einstöckig gebaut war.
    Any wartete an der Tür.
    »Es scheint, daß auch Sie den Mörder suchen!« sagte Maigret zu ihr.
    Sie fuhr zusammen, antwortete aber nicht, sondern beeilte sich, die Tür zum Zimmer von Professor Duclos zu öffnen.
    Ein Messingbett. Ein Pitchpineschrank. Linoleumb o den.
    »Wessen Zimmer war das?«
    Es machte ihr Mühe zu sagen:
    »Meins … Wenn ich auf Besuch kam.«
    »Kamen Sie oft?«
    »Ja … Ich …«
    Sie war tatsächlich schüchtern. Die Worte blieben ihr im Hals stecken. Hilfesuchend schaute sie sich um.
    »Als der Professor hier war, schliefen Sie also im A r beitszimmer Ihres Schwagers?«
    Sie nickte und öffnete die Tür zu dem Zimmer. Ein Tisch voll mit Büchern, darunter neue Werke über g i roskopische Kompasse und über Steuerung von Schiffen mit Hertz-Wellen. Sextanten. An der Wand Fotos von Conrad Popinga in Asien, in Afrika, in der Uniform e i nes Ersten Offiziers oder
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