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Maigret bei den Flamen

Maigret bei den Flamen

Titel: Maigret bei den Flamen
Autoren: Georges Simenon
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französische Zoll … Unser Haus ist weiter hinten, in der Nähe des belgischen Zolls.«
    Das Wasser war so bewegt, daß die Lastkähne aneinanderstießen. Einige Pferde, die frei herum liefen, fraßen das spärliche Ufergras.
    »Sehen Sie das Licht dort hinten? Da wohnen wir.«
    Ein Zöllner ließ sie, ohne ein Wort zu sagen, vorbeigehen. Eine Gruppe von Flußschiffern begann plötzlich flämisch zu sprechen.
    »Was sagen sie?«
    Sie antwortete zögernd und wandte dabei erstmals den Blick zur Seite:
    »Daß man die Wahrheit nie erfahren wird!«
    Und sie ging noch rascher, indem sie sich gegen den Wind beugte, um ihm weniger Angriffsfläche zu bieten.
    Das hier war schon nicht mehr die Stadt, sondern das Reich des Flusses, der Boote, des Zolls, der Befrachter. Hier und da pendelte ein elektrisches Licht mitten im Wind. Wäsche knatterte auf einem Schleppkahn. Ki n der spielten im Matsch.
    » Geste rn hat Ihr Kollege uns noch einmal aufgesucht, um uns vom Untersuchungsrichter auszurichten, daß wir uns zur Verfügung der Justizbehörden halten mü ß ten. Jetzt haben sie schon zum vierten Mal alles durc h sucht, sogar die Zisterne …«
    Sie hatten nicht mehr weit zu gehen. Das Haus der Flamen war jetzt deutlich zu erkennen. Es war ein recht stattliches Gebäude nahe am Ufer, dort, wo die Schiffe am zahlreichsten waren. Kein anderes Haus in der Nähe. Das einzige Gebäude in Sichtweite, hundert Meter en t fernt, war das belgische Zollbüro mit dem dreifarbigen Grenzpfahl davor.
    »Wenn Sie bitte eintreten wollen …«
    Auf den Scheiben der Ladentür waren transparente Reklameaufkleber für ein Messingputzmittel. Eine Türglocke ertönte.
    Unmittelbar hinter der Türschwelle wurde man von einer warmen, undefinierbaren Atmosphäre eingehüllt, deren Ruhe einen wie Sirup umfing und in der die G e rüche dominierten. Aber was für Gerüche? Da war ein Hauch von Zimt und eine etwas kräftigere Andeutung von gemahlenem Kaffee. Es roch auch nach Petroleum, mit einem deutlichen Beigeschmack von Genever.
    Eine einzige Glühlampe. Hinter der Theke aus dunkelbraun gestrichenem Holz stand eine weißhaarige Frau in einer schwarzen Bluse und unterhielt sich auf fl ä misch mit einer Schiffersfrau, die ein Kind auf dem Arm trug.
    »Wenn Sie bitte hier durchkommen würden, Herr Kommissar …«
    Maigret hatte noch die Zeit gehabt, die Regale zu betrachten, die mit Waren vollgestopft waren. Er hatte vor allem bemerkt, daß das hintere Ende der Ladentheke mit Zink beschlagen war; darauf standen Flaschen, auf denen metallene Ausgießer steckten und die Schnaps enthielten.
    Ihm blieb keine Zeit, stehenzubleiben. Eine andere Tür mit Scheibengardinen davor. Man ging durch die Küche. Ein alter Mann saß in einem Korbsessel, dicht vor dem Herd.
    »Hier entlang …«
    Ein kälterer Flur. Noch eine Tür. Dann ein Raum, den man nicht erwartet hatte, halb Salon, halb Eßzimmer, mit einem Klavier, einem Geigenkasten, sorgfältig gebohnertem Parkett, schweren Möbeln und mit R e produktionen von Gemälden an den Wänden.
    »Geben Sie mir Ihren Mantel.«
    Der Tisch war gedeckt: ein grobkariertes Tischtuch, silbernes Besteck, Tassen aus feinem Porzellan.
    »Sie nehmen doch sicherlich eine Kleinigkeit …«
    Maigrets Mantel hing bereits im Korridor, und Anna kam in einer Hemdbluse aus weißer Seide zurück, in der sie noch weniger wie ein junges Mädchen aussah.
    Dabei besaß sie durchaus volle Formen. Warum wirkte sie eigentlich so wenig fraulich? Man konnte sie sich nicht verliebt vorstellen. Und noch weniger hätte man sich einen Mann vorstellen können, der sich in sie ve r liebte!
    Offenbar hatte sie alles vorbereitet. Sie brachte eine dampfende Kaffeekanne herein und goß drei Tassen ein. Dann verschwand sie erneut und kam mit einer Reisto r te zurück.
    »Setzen Sie sich doch, Herr Kommissar … Meine Mutter wird gleich kommen.«
    »Sind Sie es, die Klavier spielt?«
    »Ich und meine Schwester … Aber sie hat weniger Zeit dafür als ich. Abends muß sie Hausaufgaben korrigieren.«
    »Und die Geige?«
    »Mein Bruder …«
    »Er ist nicht hier in Givet?«
    »Er wird gleich kommen. Ich habe ihn von Ihrer Ankunft benachrichtigt.«
    Sie schnitt die Torte in Stücke und bediente den Besucher mit der Autorität der Gastgeberin. Madame Pe e ters trat ein, die Hände vor dem Bauch gefaltet, und deutete zaghaft ein Lächeln der Begrüßung an, ein L ä cheln voller Melancholie und Resignation.
    »Anna hat mir gesagt, daß Sie so freundlich waren
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