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Maigret - 38 - Maigret und die Bohnenstange

Maigret - 38 - Maigret und die Bohnenstange

Titel: Maigret - 38 - Maigret und die Bohnenstange
Autoren: Georges Simenon
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Mutter ihn dazu auf. Das ist durchaus möglich. Lach nicht! Ich weiß nicht, wie das mit Deinem Mann ist, aber bei G … ist es so, dass er das verdutzte Gesicht eines Schuljungen macht, der zur Strafe fünf Seiten abschreiben muss. Weißt Du, was ich meine?
    Ich habe mich oft gefragt, ob es mit seiner ersten Frau genauso gewesen ist. Möglich ist es schon. Es wäre ohne Zweifel dasselbe mit jeder Frau. Diese Leute, musst Du wissen, ich spreche von Mutter und Sohn, bilden eine Welt für sich allein und brauchen niemand anders.
    Man glaubt es nicht, dass die alte Dame früher einmal verheiratet war. Von ihrem Mann ist nie die Rede. Außer ihnen beiden gibt es auf der Welt für sie nur die Menschen, deren Porträts an den Wänden hängen, und Verstorbene, über die man sich unterhält, als seien sie lebendiger als alle Lebenden auf Erden.
    Ich halte es nicht mehr aus, Gertrude. Ich werde gleich heute mit G … sprechen und ihm sagen, dass ich Heimatluft atmen muss. Er wird Verständnis haben. Die Frage ist nur, ob er sich traut, mit seiner Mutter darüber zu sprechen …«
     
    »Ist der Brief noch lang?«, fragte Maigret.
    »Noch sieben Seiten.«
    »Übersetzen Sie weiter. Ich komme gleich wieder.«
    An der Tür drehte er sich um.
    »Wenn Sie Hunger oder Durst haben, rufen Sie die ›Brasserie Dauphine‹ an. Lassen Sie sich kommen, was Sie wollen!«
    »Ich danke Ihnen.«
    Vom Gang aus sah er im »Glaskasten« die alte Madame Serre auf einem der mit grünem Samt bezogenen Stühle sitzen. Sie saß kerzengerade, die Hände im Schoß gefaltet. Als sie Maigret erblickte, machte sie Anstalten, sich zu erheben, aber er schritt, ohne stehen zu bleiben, vorbei zum Treppenhaus.
    Das Verhör hatte gerade erst begonnen, doch schon erfüllte es ihn mit Erstaunen, dass draußen im Sonnenschein das Leben weiterging, Leute hin und her eilten, Taxis fuhren und Autobusse mit Männern, die auf der hinteren Plattform die Abendzeitung lasen.
    »Rue Gay-Lussac!«, sagte er zum Fahrer. »Ich sage Bescheid, wo Sie halten sollen.«
    Die großen Bäume im Jardin du Luxembourg rauschten in der abendlichen Brise, und alle Stühle waren besetzt; man sah viele Kleider in leuchtenden Farben, und einige Kinder spielten noch auf den Alleen im Park.
    »Ist Maître Orin zu Hause?«, fragte er die Concierge.
    »Er ist schon über einen Monat nicht mehr heruntergekommen, der Ärmste!«
    Maigret hatte sich plötzlich an den Rechtsanwalt erinnert. Er war wahrscheinlich der älteste Anwalt in ganz Paris. Der Kommissar wusste sein genaues Alter nicht, aber er hatte ihn nur alt und halb gelähmt gekannt, was ihn nicht hinderte, immer ein Lächeln zu zeigen und von den Frauen mit begehrlichen Blicken zu sprechen.
    Er und ein Dienstmädchen, das fast ebenso alt war wie er, lebten in einer Junggesellenwohnung, die mit Büchern und Stichen, die er sammelte, vollgestopft war. Die Mehrzahl dieser Stiche zeigte erotische Motive.
    Orin saß in einem Lehnstuhl am offenen Fenster, eine Decke über die Knie gebreitet trotz der Hitze.
    »Na, mein Sohn! Welch guter Wind weht Sie herein? Da meinte ich schon, dass sich keiner mehr meiner erinnert und dass man mich längst auf dem Père-Lachaise glaubt. Worum geht es diesmal?«
    Er machte sich keine falschen Hoffnungen, und Maigret wurde ein wenig rot, denn er hatte den alten Anwalt tatsächlich nur selten besucht, ohne einen bestimmten Zweck damit zu verbinden.
    »Ich habe mich vorhin gefragt, ob Sie nicht zufällig einen gewissen Serre gekannt haben, der vor ungefähr zwei- oder dreiunddreißig Jahren gestorben ist.«
    »Alain Serre?«
    »Er war Anwalt.«
    »Dann muss es Alain sein.«
    »Was für ein Mensch war er?«
    »Vermutlich habe ich nicht das Recht zu erfahren, worum es sich handelt?«
    »Um seinen Sohn.«
    »Ich habe den jungen Mann nie gesehen. Ich wusste, dass es ihn gab, aber ich bin ihm nie begegnet. Sehen Sie, Maigret, Alain und ich gehörten einer fröhlichen Clique an, für die das Familienleben nicht der Weisheit letzter Schluss war. Man traf sich vor allem im Club und hinter den Kulissen der kleinen Theater, und wir kannten sämtliche Ballettmädchen mit Vornamen.«
    Mit anzüglichem Lächeln fügte er hinzu:
    »Wenn ich so sagen darf!«
    »Seine Frau haben Sie nicht gekannt?«
    »Ich muss ihr vorgestellt worden sein. Wohnte sie nicht irgendwo in Neuilly? Einige Jahre lang war Alain wie vom Erdboden verschwunden. Er war nicht der Erste, dem das passierte. Es gab sogar welche, die uns nach ihrer Heirat
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