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Maigret - 31 - Mein Freund Maigret

Maigret - 31 - Mein Freund Maigret

Titel: Maigret - 31 - Mein Freund Maigret
Autoren: Georges Simenon
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war, in denen man wie ein Blinder herumtappt und deren Lösung man erst durch reinen Zufall zehn Jahre später findet?
    Oder wenn es ein ganz simpler Fall war, wenn Lechat morgen auf den Bahnhof gestürzt kam und meldete:
    »Alles erledigt. Der Säufer, der die Tat begangen hat, ist festgenommen und hat gestanden.«
    Wenn …
    Madame Maigret hatte ihm seinen Pyjama nicht eingepackt. Er sollte den alten nicht mitnehmen, der wie eine Mönchskutte aussah, und schon seit zwei Monaten hätte er sich einen neuen kaufen sollen. Er fühlte sich in seinem Nachthemd reichlich unwohl.
    »Eine Nachtmütze?« sagte Mr. Pyke und reichte ihm einen silbernen Flakon und einen Becher. »So nennen wir nämlich den letzten Whisky vorm Schlafengehen.«
    Maigret trank einen Becher Whisky. Er mochte das Zeug nicht sehr gern, aber vielleicht schätzte Mr. Pyke den Calvados, den er ihm in den drei Tagen wiederholt aufgedrängt hatte, auch nicht viel mehr.
    Er schlief und war sich bewußt, daß er schnarchte. Als er erwachte, sah er Olivenbäume am Ufer der Rhone und erkannte daran, daß man schon über Avignon hinaus war.
    Die Sonne schien, und ein leichter goldener Nebel lag über dem Fluß. Der frisch rasierte Engländer, korrekt von Kopf bis Fuß, stand im Gang und preßte das Gesicht an die Scheibe. Der Waschraum war so sauber, als ob er ihn nie benutzt hätte, und ein leiser Lavendelgeruch war dort zu spüren.
    Ohne zu wissen, ob er guter oder schlechter Laune war, brummte Maigret, während er seinen Rasierapparat im Koffer suchte:
    »Jetzt sich bloß nicht von dem Patron unterkriegen lassen!«
    Es war vielleicht Mr. Pykes untadelige Korrektheit, die ihm so unhöfliche Gedanken eingab …

2
Die Stammgäste der Arche
    Die erste Runde war jedenfalls ganz glimpflich vorüber gegangen. Das bedeutet aber nicht, daß zwischen den beiden Männern eine Rivalität bestanden hätte, wenigstens nicht auf beruflichem Gebiet. Wenn Mr. Pyke auch mehr oder weniger an Maigrets polizeilicher Tätigkeit teilnahm, so doch nur als Zuschauer.
    Obwohl Maigret wußte, daß der Vergleich nicht stimmte, dachte er an eine erste ›Runde‹. Schließlich hat man ja wohl das Recht, sich in seinem Kopf die Begriffe so zurechtzulegen, wie sie einem passen.
    Als er sich zum Beispiel im Gang des Schlafwagens neben den englischen Inspektor stellte, hatte dieser vor lauter Überraschung kaum die Zeit gehabt, das Entzücken zu unterdrücken, das sein Gesicht verklärte. War das einfache Scham, weil einen Beamten von Scotland Yard der Sonnenaufgang über einer der schönsten Landschaften der Welt nicht zu kümmern hat? Oder hielt es der Engländer für ungehörig, angesichts eines fremden Zuschauers seine Bewunderung zu zeigen?
    Maigret hatte das innerlich sofort als einen Punkt für sich gebucht.
    Im Speisewagen dagegen hatte Mr. Pyke seinerseits mit vollem Recht sich einen Punkt zuerkennen können. Wenn auch kaum sichtbar, hatte er die Nase gerümpft, als man die Eier mit Speck brachte, die unbestreitbar weniger gut als in seinem Lande waren.
    »Sie kennen das Mittelmeer nicht, Mr. Pyke?«
    »Ich verbringe meinen Urlaub gewöhnlich in Sussex. Einmal allerdings war ich auch in Ägypten. Das Meer war grau und stürmisch, und es hat während der ganzen Überfahrt geregnet.«
    Und Maigret, der den Süden im Grunde gar nicht so sehr liebte, fühlte sich von dem Verlangen gekitzelt, ihn zu verteidigen.
    Aber da kam der Kellner, der den Kommissar erkannte – er hatte ihn wohl schon anderswo bedient – und fragte ihn gleich nach dem Frühstück mit flötender Stimme:
    »Ein Schnäpschen wie gewöhnlich?«
    Gestern oder vorgestern hatte der Inspektor ganz harmlos bemerkt, daß ein englischer Gentleman niemals vor dem späten Nachmittag starke Sachen trinkt.
    Die Ankunft in Hyères war, daran gab’s nichts zu rütteln, ein Punkt zu Maigrets Gunsten. Die Palmen rings um den Bahnhof standen unbewegt in einer wahren Wüstensonne. Man mußte annehmen, daß an diesem Morgen hier ein großer Markt, eine Kirmes oder ein Fest stattfand, denn die Karren, die kleinen und die großen Lastwagen wirkten wie lebendige Pyramiden aus frischem Obst und Blumen.
    Mr. Pyke verschlug es wie Maigret fast den Atem. Man spürte wirklich, daß man eine andere Welt betrat, und man blickte unwillkürlich verlegen auf seinen dunklen Anzug und Mantel, die am Abend vorher in den regnerischen Straßen von Paris so angebracht gewesen waren.
    Inspektor Lechat hingegen trug einen hellgrauen Anzug und
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