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Magnus Jonson 02 - Wut

Magnus Jonson 02 - Wut

Titel: Magnus Jonson 02 - Wut
Autoren: Michael Ridpath
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Gegröles mal mit diesem, mal mit jenem plauderte.
Hinter ihm fühlte sich Harpa als Teil des betrogenen Volkes, und ihre Wut flammte wieder auf.
    Irgendwann hatte die Polizei genug.
    »Achtung, Tränengas!«, warnten die Leute.
    Kurz darauf brannte es in Harpas Augen. Sie krümmte sich zusammen, und Björn zog sie fort. Es kitzelte in ihrem Hals. Im Laufschritt verließen sie den Platz inmitten von Hunderten anderer, die fliehen wollten, um dem Gas zu entgehen. Kurz verloren die beiden Sindri aus den Augen, dann sahen sie ihn im Gespräch mit einem halbnackten jungen Mann, der sein Gesicht in einen Eimer Wasser getaucht hatte. Der Junge hatte einen roten Irokesenschnitt, und sein nackter Oberkörper leuchtete rosa in der Kälte und im Licht der Fackeln. Sindri klopfte ihm ermutigend auf den Rücken, schien ihm zu gratulieren. Der Junge zitterte, doch auch er war zornig, und seine Wut hielt ihn warm.
    Die Menschenmenge löste sich langsam auf, zumindest fürs Erste. Das Tränengas ließ die Leute vom Platz strömen.
    Die drei standen einige hundert Meter weiter, direkt neben der eindrucksvollen Statue von Ingólf Arnarson, dem ersten Wikinger, der in Reykjavíks rauchiger Bucht an Land gegangen war und sich dort niederließ.
    »Dem kann das Tränengas nichts anhaben«, sagte Sindri. »Wenn heute noch Leute wie er das Sagen hätten, wüssten sie genau, was sie mit den Bankern und Politikern tun würden.«
    Harpa bewunderte die kräftigen Muskeln des Standbilds. »Ob er wirklich so ausgesehen hat?«, überlegte sie laut.
    »Wahrscheinlich war er in Wirklichkeit klein und dick und hatte ein Doppelkinn«, sagte Björn.
    Alle drei mussten lachen.
    »Kommt doch mit zu mir, da können wir was trinken«, sagte Sindri zu Harpa und Björn. »Ist direkt um die Ecke.« Die beiden tauschten einen Blick aus, der besagte: Wenn du gehst, komme ich auch mit.
    »Gut«, sagte Harpa. Sie folgten Sindri, und der junge Mann mit
dem bloßen Oberkörper schloss sich ihnen ebenfalls an. Zum Ausdruck seiner Geringschätzung wedelte er mit seinem Shirt durch die Luft.

    »Noch einen, Harpa?«
    Harpa nickte, und Sindri schenkte ihr aus der Brandyflasche nach. Sie war angenehm beschwipst. Der Alkohol verstärkte die Wirkung der Stresshormone, die bei der aufregenden Demonstration in ihrem Körper freigesetzt worden waren. Es war Wochen her, dass sie ein wenig mehr getrunken hatte. Eigentlich hatte sie Menschen, die unter der Woche etwas tranken, nie über den Weg getraut, aber dies war schließlich kein normaler Dienstag.
    Sie waren zu fünft in Sindris kleiner Wohnung: Sindri, Harpa, Björn, der rothaarige Jugendliche und ein schmächtiger, ordentlich gekleideter Mann, der noch studierte. Er hatte sich ihnen irgendwann angeschlossen. Der Jugendliche hieß Frikki, der Student Ísak.
    Sindri gefiel es, sich vor der kleinen Gruppe und speziell vor Harpa aufzuspielen. Er hatte sie neben sich auf einem verschlissenen Sofa platziert. Björn und der Student Ísak saßen ihnen in alten Sesseln gegenüber, Frikki hockte auf dem Boden. Die Wohnung war heruntergekommen: eine niedrige, von Rissen durchzogene Decke, ein zerkratzter Holzboden, überall Bücher, Zeitungen, Zeitschriften und Aschenbecher voller Zigarettenkippen. In der Nische, die als Küche diente, stapelte sich der Abwasch in der Spüle. Das einzig Freundliche in dem Apartment waren drei, vier Landschaftsbilder an der Wand; auf dem größten trug ein Bauer ein ohnmächtiges Mädchen durchs Moor.
    Eine Flasche Rotwein hatten sie bereits getrunken, jetzt waren sie zu Brandy übergegangen.
    Sindris Aufmerksamkeit schmeichelte Harpa, und seine Ausführungen klangen interessant. Doch am deutlichsten spürte sie die Anwesenheit von Björn. Er saß da, hörte Sindri ruhig und gefasst zu und ließ sich nicht auf das klassisch männliche Wetteifern
um Harpas Aufmerksamkeit ein, dennoch bemerkte sie, dass er hin und wieder zu ihr herüberschaute.
    Harpa fühlte sich wohl. Kurz bekam sie Schuldgefühle, Markús allein gelassen zu haben, dabei passte ihre Mutter gern auf ihn auf. Sie beschwor Harpa ständig, sie solle aufhören, Trübsal zu blasen, häufiger vor die Tür gehen und einen neuen Mann kennenlernen. Ihre Mutter hatte recht. Seit Gabríel Örn Harpa betrogen hatte, hatte sie ihre Zeit meist zurückgezogen in dem kleinen Haus in Seltjarnarnes verbracht.
    »Ich weiß, dass ich nicht so aussehe«, erklärte Sindri gerade, »aber eigentlich bin ich Bauer. Zumindest komme ich aus einer
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