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Magnus Jonson 02 - Wut

Magnus Jonson 02 - Wut

Titel: Magnus Jonson 02 - Wut
Autoren: Michael Ridpath
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Uniformierten zückten ihre Spraydosen und richteten sie auf die Menschen.
    Die Menge wich zurück. Harpa geriet ins Taumeln und stolperte über einen Mann hinter ihr. Kurz befürchtete sie, niedergetrampelt zu werden. Ein Stiefel trat ihr aufs Bein. Auf dem Rücken liegend, versuchte sie, ihr Gesicht mit dem Topf zu schützen. Ihre Wut schlug in Furcht um.
    Da halfen ihr starke Arme hoch und zogen sie aus dem Getümmel.
    »Alles in Ordnung? Tut mir leid, ich wollte dich nicht umrennen.«
    Der Mann war schlank und muskulös, hatte buschige schwarze Brauen und tiefblaue Augen. Als Harpa zu ihm aufschaute, durchfuhr es sie heiß und kalt. Sie bekam kein Wort mehr heraus.
    »Komm, gehen wir weg von hier.«
    Sie nickte und folgte dem Fremden, der sich durch die Menschenmenge bis zum Rand des Platzes vorarbeitete, wo weniger
Leute standen. Seine Hand auf Harpas Arm war schwielig und schwer, die Hand eines Fischers, die Hand ihres Vaters.
    »Danke«, sagte sie und bückte sich, um ihr Schienbein an der Stelle zu reiben, wo der Stiefel sie getroffen hatte.
    »Hast du dir weh getan?«, fragte der Mann lächelnd. Ein vorsichtiges Lächeln, das Besorgnis verriet.
    »Geht schon.«
    Ein Jugendlicher drängte sich an ihnen vorbei, riss sich stöhnend die Sturmhaube vom Kopf und rieb sich die vom Pfefferspray gereizten Augen. Er konnte nicht viel älter als vierzehn sein. Ein Mann drehte den Kopf des Jungen nach hinten und träufelte ihm zur Linderung Tropfen in die Augen.
    »So ein Spinner«, sagte Harpa. »Das ist doch nicht die Schuld der Polizei.«
    »Das vielleicht nicht«, erwiderte ihr Begleiter. »Aber wir müssen die Politiker zwingen, uns wahrzunehmen. Vielleicht ist dazu so was nötig.«
    »Ach, das ist doch albern!«, brummte eine tiefe Stimme hinter ihnen. Harpa und ihr Retter drehten sich zu einem breitschultrigen Mann mittleren Alters um, der einen struppigen grauen Bart, geschwollene Augen und einen Pferdeschwanz hatte. Stirnrunzelnd sah er auf die beiden herab. Sein Bauch hing über der Jeans, er trug einen Lederhut mit breiter Krempe. Harpa meinte, ihn schon mal gesehen zu haben, war sich aber nicht sicher.
    »Was willst du damit sagen?«, fragte sie.
    »Die Isländer sind albern. Jetzt ist die Zeit für eine richtige Revolution. Wir können nicht einfach nur rumsitzen, uns höflich über Veränderungen unterhalten und auf Töpfe und Pfannen schlagen. Das Volk muss die Macht übernehmen. Jetzt.«
    Harpa überlegte. Dieser Mann hatte im Grunde genommen recht.
    »Bist du nicht Sindri?«, fragte der Fischer. »Sindri Pálsson?«
    Der andere nickte.
    »Ich habe dein Buch gelesen, Der Tod des Kapitals .«

    »Und?« Der schwere Mann hob fragend die Augenbrauen.
    »Ich fand es damals etwas überzogen. Jetzt bin ich mir aber nicht mehr so sicher.«
    Der Dicke lachte.
    Jetzt wusste Harpa, wo sie sein Gesicht schon einmal gesehen hatte. Anfang der Achtziger war er ein Punkmusiker gewesen, der einen einzigen Hit gehabt hatte. Zwanzig Jahre später hatte er sich als Anarcho-Schriftsteller neu erfunden.
    »Ich heiße Björn«, sagte der Fischer und hielt Sindri die Hand hin. Der ergriff sie.
    »Und du?«, fragte er Harpa. Sie roch Alkohol in seinem Atem und sah das Interesse in seinem Blick, als er sie musterte. Sie mochte eine arbeitslose, alleinerziehende Mutter von Ende dreißig sein, doch Männern gefiel immer noch, was sie vor sich sahen, besonders den älteren.
    »Harpa«, antwortete sie und warf dem Mann namens Björn einen kurzen Blick zu. Er lächelte und schien ihr in diesem Augenblick ungemein attraktiv. Er hatte etwas Besonderes an sich, aber vielleicht war es auch ihre angestaute Wut, die Harpa so aufwühlte.
    Der Mann war auf jeden Fall attraktiver als Gabríel Örn. Schade, dass er Fischer war. Seit ihrer Jugend hielt sich Harpa eisern an die Regel: Lass dich nicht mit Fischern ein!
    »Ólaf raus!«, brüllte Sindri und stieß die Faust in die Luft.
    Wie er sich mit wippendem Pferdeschwanz die Kehle aus dem Leib brüllte, wirkte der dicke Mann beeindruckend.
    Harpa warf Björn einen Blick zu. »Ólaf raus!«, rief sie.
    Es wurde dunkel. Die Demonstration spitzte sich zu. Die älteren Teilnehmer verschwanden, der Anteil der Protestler mit Kapuzen und vermummten Gesichtern stieg. Der Weihnachtsbaum in der Mitte des Platzes kippte um; kurz darauf stand er in Flammen. Trommeln dröhnten, Menschen tanzten. Harpa und Björn hielten sich an Sindri, der sich durch die Menge bewegte und inmitten des lautstarken
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