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Magie und Schicksal - 2

Magie und Schicksal - 2

Titel: Magie und Schicksal - 2
Autoren: Michelle Zink
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Kleid entschieden habe. Noch vor einem Jahr hätte ich das grüne Kleid gewählt. Ich rede mir ein, dass nur das rote Kleid der Maske, die ich habe anfertigen lassen, gerecht wird, aber das ist nur die halbe Wahrheit.
    Das Rot der Seide ist ein Spiegel des Bewusstseins meiner eigenen Macht, das mir eigen ist, seit ich in Chatres die gefährlichsten Mitstreiter Samaels in die Schranken gewiesen habe: seine Leibwache.
    Gleichzeitig tadele ich mich, weil ich mich in der Gewissheit
einer Macht sonne, von der ich nicht weiß, ob sie ausreicht, um mir eine Zukunft zu sichern.
    Mit diesem Gedanken schaue ich zwischen den Vorhängen an dem Fenster hindurch nach draußen auf die geschäftige Straße. Dunkelheit senkt sich über die Stadt, sickert aus den Ritzen und Winkeln hinaus auf die Gassen und Alleen. Die Menschen fühlen wohl ihr Näherkommen, denn sie hasten durch die Straßen und beeilen sich, in die Häuser zu kommen. Es ist, als spürten sie die Gefahr im Nacken. Als ob sie wüssten, dass das Ende naht.
    Ich schüttele diese düsteren Gedanken ab, als ich eine junge Frau unter einer Straßenlaterne an einer belebten Straßenecke sehe. Ihre Frisur ist kunstvoll, selbst nach den Maßstäben meiner Schwester, und ihr Gesicht ist schmaler, als ich es von Alice in Erinnerung habe. Allerdings habe ich sie ziemlich lange nicht von Angesicht zu Angesicht gesehen, und jeden Morgen, wenn ich in den Spiegel schaue, bin ich mir meiner eigenen Veränderung bewusst.
    Ich beuge mich vor. Eine Hitze rast durch meine Adern, und ich hoffe, einen besseren Blick auf die Frau erhaschen zu können. Ich will schon ihren Namen rufen, als sie sich in Richtung der Kutsche wendet. Sie schaut nicht zu mir her, aber ich kann sie gut genug erkennen, um zu sehen, dass es nicht Alice ist.
    Sie geht die Straße entlang und verschwindet in dem Rauch, der den Straßenlaternen entströmt und vom Wind durch die Stadt getrieben wird. Ich lehne mich wieder in meinem Sitz zurück und bin mir nicht sicher, ob das, was
mein Herz zusammenpresst, Erleichterung oder Enttäuschung ist.
    »Lia? Alles in Ordnung?«, fragt Luisa.
    Ich bemühe mich um eine gelassene Stimme, wohl wissend, dass mein Puls rast. »Aber gewiss.«
    Sie nickt und ich zwinge mich zu einem Lächeln. Dann schließe ich die Augen und atme tief durch.
    Es war nur meine Einbildung, sage ich mir. Ich werde schon zu lange von Alice und den Seelen heimgesucht. Ich sehe sie bereits an jeder Straßenecke.
    Plötzlich wünschte ich mir, Dimitri säße neben mir, und ich könnte seine muskulösen Schenkel neben mir spüren und seine Hand, die in den Falten meines Kleids mit meinen Fingern spielt. Aber noch während ich mir das wünsche, zwinge ich mich zur Mäßigung. Es ist unklug, sich so gänzlich auf andere zu verlassen.
    Selbst wenn es um Dimitri geht.
     
    Als Edmund die Kutsche vor der St. John’s Kirche anhält, registriere ich – wieder einmal – mit Erstaunen, wie normal alle aussehen. Natürlich sind die Mitglieder der Gesellschaft in vielerlei Hinsicht tatsächlich normal, aber dennoch habe ich noch nie so viele von uns auf einmal gesehen. Ich erwarte fast, ein Glühen oder ein Summen wahrzunehmen, irgendetwas, das der großen Anzahl jener mit übernatürlichen Kräften Rechnung trägt.
    Aber nein. Alles wirkt wie eine Zusammenkunft von wohlhabenden und reich gekleideten Londoner Bürgern.

    »Wie um alles in der Welt hat es Elspeth geschafft, eine Kirche zu mieten?« Sonias Stimme erklingt nah an meinem Ohr. Alle drei haben wir uns vorgebeugt und verrenken uns die Hälse, um die Damen und Herren, die aus den Kutschen steigen und die Stufen zum Portal hinaufgehen, besser sehen zu können.
    »Ich habe keine Ahnung, wie Elspeth es immer wieder schafft, das Unmögliche möglich zu machen!«, lacht Luisa. Es ist das unbekümmerte, fröhliche Lachen, das mich in Gedanken zu den Anfängen unserer Freundschaft zurückführt.
    »Ich muss zugeben, dass ich mir über die Räumlichkeiten, in denen der Ball abgehalten wird, keine Gedanken gemacht habe«, sage ich. »Aber jetzt bin ich doch neugierig. Die Königin wäre vermutlich nicht erfreut, wenn sie wüsste, dass sich ein solcher Haufen Heiden in einer Londoner Kirche versammelt!«
    Sonia zischt mir ein »Pst!« zu, ehe sie kichert und sagt: »Byron hat mir erzählt, dass in St. John’s viele Konzerte und Bälle abgehalten werden.«
    Ihre Worte strahlen eine derartige Gelassenheit aus, dass ich einen Moment brauche, um zu begreifen, was sie da
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