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Magie und Schicksal - 2

Magie und Schicksal - 2

Titel: Magie und Schicksal - 2
Autoren: Michelle Zink
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vor und befühlt den Stoff, und in der nächsten halben Stunde reden wir nur über Kleider und Masken, bis ich mich schließlich für das rote Seidenkleid entscheide. In dieser halben Stunde tun wir so, als ob alles wäre wie früher und keine Bedrohung, keine Prophezeiung und kein Samael zwischen uns stünde. Wir tun so, weil es nichts nützen würde, wenn wir das aussprechen würden, was wir alle wissen: dass nichts je wieder so sein wird wie früher.
     
    Ich sitze, nur mit einem Unterkleid und Strümpfen bekleidet, vor meinem Schminktisch und mache mich für den Ball fertig.
    Die Tatsache, dass ich mich seit meiner Rückkehr aus
Altus weigere, ein Korsett zu tragen, und mir auch nicht mehr von den Dienstmädchen beim Ankleiden helfen lasse, hat für einen kleinen Skandal unter den Bediensteten gesorgt. Ich hatte gar nicht die Absicht, den Fallstricken der Mode zu entsagen. Eine Zeit lang ließ ich mich von einem Dienstmädchen zu formellen Anlässen ankleiden, wie es sich für eine junge Dame der Gesellschaft ziemt. Ich stand still – und innerlich widerstrebend –, während sie mich in ein Korsett einschnürte und meine Füße in zierliche Schuhe zwängte, die mich sosehr drückten, dass ich sie beinahe quer durch das Zimmer geschleudert hätte.
    Es hatte keinen Sinn.
    Ich musste immerzu an die Seide von Altus denken, wie sie auf meiner nackten Haut flüsterte, und an die herrliche Freiheit von nackten Füßen oder flachen Sandalen.
    Schließlich, nach einer besonders langen Nacht im Kreis der Druiden und Parapsychologen der Gesellschaft, kam ich nach Hause und verkündete, dass ich mich von diesem Tag an allein ankleiden würde. Die Proteste, die mir entgegenschlugen, waren nur halbherzig. Jedem war die Veränderung in mir aufgefallen. Nichts, was ich tat, konnte die Bediensteten noch überraschen; alle schienen sich damit abgefunden zu haben, einer exzentrischen Herrin zu dienen.
    Ich nehme die Puderdose zur Hand und blicke in den Spiegel, während ich die feinen Partikel auf meiner Stirn, meinen Wangen und meinem Kinn verteile. In der jungen
Frau, die mich aus dem Spiegel anblickt, kann ich kaum mehr das Mädchen erkennen, das vor etlichen Monaten nach London kam. Das Mädchen, das ihr Zuhause zurückließ, ihre Schwester, den Mann, den sie liebte.
    Und doch ist mir diese neue Person vertrauter als mein altes Ich. Die smaragdgrünen Augen funkeln wie einstmals die meiner Mutter, die kantigen Wangenknochen sind eine ständige Erinnerung an die Entbehrungen, die ich für die Prophezeiung auf mich genommen habe.
    Kein Wunder, dass das Mädchen mit dem rundlichen Gesicht, das ich früher war, nur noch eine Erinnerung ist.
    Der dumpfe Glanz von Tante Abigails Schlangenstein im Spiegel zieht meinen Blick auf sich. Ich greife danach und umfasse ihn mit meinen Fingern, frage mich, ob ich mir seine Wärme bloß einbilde.
    Es ist mir zur Gewohnheit geworden, täglich die Temperatur des mächtigen Steins zu überprüfen, den ich von meiner Großtante Abigail bekommen habe, denn obwohl meine eigene Macht ständig wächst, habe ich kaum mehr als diesen Stein zu meinem Schutz vor den Seelen. Tante Abigail hat ihr Leben für meinen Schutz hergegeben und den Stein mit der ganzen Kraft, die ihr als Herrin von Altus noch zur Verfügung stand, aufgeladen. Wenn der Stein erkaltet, wenn seine Wärme Vergangenheit ist, wird auch sein Schutz vergehen.
    Und er wird jeden Tag kälter.
    Ich wende mich vom Spiegel ab. Es hat keinen Sinn, über Dinge nachzudenken, die ich nicht ändern kann. Stattdessen
gehe ich in meinem Zimmer auf und ab und grübele über das Rätsel der letzten Seite der Prophezeiung nach. Das Blatt Papier, das ich in der heiligen Höhle in Chartres fand, habe ich vernichtet, habe es verbrannt, damit es nicht in die Hände von Samael oder der Seelen fallen kann. Trotzdem sind die Worte, die auf diesem Papier standen, in mein Gedächtnis gebrannt. Sie sind mir eine ständige Mahnung daran, dass immer noch eine Zukunft möglich ist, in der die Prophezeiung nicht mehr mein ganzes Sein bestimmt.
    Fast unbewusst rezitiere ich die Zeilen in Gedanken, während ich gleichzeitig über ihre Bedeutung rätsele.
    Aber aus Chaos und Wahnsinn wird sich Eine erheben,
Wird den uralten Zirkel führen und den Stein befreien,
verborgen in der Heiligkeit der Schwesternschaft,
sicher verwahrt vor den Augen des Untiers.
Eine wird kommen und erlösen,
wen die Prophezeiung bindet
seit Anbeginn der Zeiten, bis zum drohenden
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