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Magical Mystery

Magical Mystery

Titel: Magical Mystery
Autoren: Sven Regener
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Wunder, dann hast du ja alles verpasst!«
    »Natürlich habe ich alles verpasst«, platzte es aus mir heraus, bevor ich richtig nachdenken konnte, das ging noch nicht so schnell damals, ich hatte das noch nicht so gut im Griff, den Ärger, den Zorn, die ganze Gefühlssause, »was denkst du denn?! Das war doch die Idee davon, ich bin ja nicht hierhergekommen, weil hier der Bär steppt, das ist Hamburg-Altona, Mann, hier kommt man her, um …« – mir fehlten die Worte, ja, warum kam man hierher? Um zu überleben? Das klang mir zu dramatisch. Um zu wohnen? Als ob es woanders keine Drogen-WGs gäbe, als ob nicht eigentlich sogar eine Drogen-WG in der Nähe des Altonaer Bahnhofs eine ziemlich dumme Idee war, »… um alles zu verpassen«, brachte ich schließlich den freudlosen Satz zu Ende.
    »Ja, ja, schon gut«, sagte Raimund. »Ich hol mir noch ein Bier, du auch eins?«
    »Kaffee. Filterkaffee, groß, schwarz.« Ich hatte keine Lust mehr zu reden. Und ich hatte keine Lust mehr auf den Eisbecher. Ich wollte aber auch nicht gehen. Dass es ausgerechnet Raimund sein musste, der mich hier aufspürte! Hätte es nicht Frankie sein können oder sonst jemand Nettes, Heidi oder Isabella oder wegen mir auch Erwin Kächele oder wie sie alle geheißen hatten, jedenfalls jemand von der warmen Seite, denn meine Vergangenheit hatte zwei Seiten gehabt, eine warme und eine kalte, so sah ich das damals, so wie es warme und kalte Drogen gab, Klaus-Dieter, der alte Multitox, hatte mir das mal erklärt, kalt Speed, warm Heroin oder so, »die warmen sind gefährlicher«, hatte er noch gesagt, aber als ich ihn gefragt hatte, ob Alkohol zu den warmen oder den kalten gehört, hatte er »beides« gesagt, der alte Quatschkopf.
    Raimund kam wieder und stellte mir einen Kaffee hin, es war der falsche Kaffee, eine verlängerte Plörre aus dem Espressovollautomaten, ein Quatschkaffee, den man als solchen gleich an den vielen sinnlosen Schaumbläschen erkannte, die darauf herumschwammen. Raimund hatte recht, das Eiscafé »La Romantica« war grottig, ein Musterbeispiel für die Talentlosigkeit der Altonaer Gastronomie, die einen irgendwie immer an Schultheateraufführungen erinnerte.
    »Wahrscheinlich darfst du überhaupt kein Bier«, sagte Raimund und prostete mir dabei zu. Er schluckte und schluckte, während ich pro forma die Kaffeetasse hob und gleich wieder abstellte. Draußen hatte es zu regnen begonnen und durch die Tür, die der Letzte, der gegangen war, offen gelassen hatte, drang das Wischgeräusch von Autoreifen auf nasser Straße herein.
    »Muss hart sein«, sagte er, und plötzlich erinnerte ich mich, warum ich ihn immer so gern gehabt hatte: Bei Raimund Schulte wurde nicht drumherum geredet, bei ihm war immer alles eins zu eins, keine Hintergedanken, keine Anspielungen, kein Subtext, keine Metaphern, keine Rücksichten. Natürlich war das kalt, aber auch toll.
    »Nicht so schlimm«, sagte ich. »Solange man rauchen kann, geht’s.«
    »Rauchen hab ich mir abgewöhnt«, sagte er, »aber kein Bier, das ist hart. Darfst du denn kiffen? Ich dachte, das war bei dir wegen dem Koks gewesen oder Speed oder was ?«
    »Schwer zu sagen«, sagte ich. »Ich darf gar nichts mehr.«
    »Aber ihr kriegt doch immer so Pillen«, ließ Raimund nicht locker. »Was gibt’s denn da so?«
    »Kommt drauf an, was man hat«, sagte ich.
    »Was hast du denn gekriegt?«
    »Die waren nicht so toll«, sagte ich. »Ich hab sie abgesetzt.«
    »Wieso nicht so toll?«
    Ich hatte schon zu viel gesagt. Ich hatte keine Lust, Raimund Schulte zu erzählen, wie fett ich von den Pillen geworden und wie grau alles gewesen war und dass die Dinger mich impotent gemacht hatten und wie ich mich über nichts mehr hatte aufregen oder freuen können. Jetzt war zwar immer noch alles grau, aber das hatte mehr mit Hamburg-Altona zu tun, und es gab nicht viel zu freuen, aber das hatte mit Werner und der WG und dem Job zu tun, und das war irgendwie besser und ich konnte mich wenigstens wieder darüber aufregen.
    »Es ist nicht die Art von Pillen, an denen du Freude hättest, Raimund.«
    »Ja, wahrscheinlich, sonst würde man sowas ja wohl mal angeboten kriegen. Und du darfst gar nichts mehr nehmen? Kein Bier, kein Hasch, gar nichts?«
    »Nur Kaffee und Zigaretten.«
    »Und ist das schwer?«
    »Ja, manchmal.«
    »Sag ich doch!« Raimund nahm sich eine meiner Zigaretten. »Ich nehm mir mal eine.«
    »Klar. Ich dachte, du rauchst nicht mehr«, sagte ich und gab ihm Feuer.
    »Nur noch ganz
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