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Magical Mystery

Magical Mystery

Titel: Magical Mystery
Autoren: Sven Regener
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ist, aber irgendwie muss man ja durchs Leben kommen, und ganz ohne Esoterik geht es nicht, der Mensch lebt nicht vom Brot allein, und wenn man schon keine Drogen mehr nehmen darf und auch sonst ein paar Schrauben lo cker hat, dann kann ein bisschen Esoterik nicht schaden.
    »Clean Cut 1, Schmidt.«
    Niemand antwortete, aber man hörte im Hintergrund die Bassdrum, nicht so laut, wie wenn das Telefon direkt im Club gewesen wäre, was sollte es da auch, wie sollte man in einem Club, in dem die gute alte Bummbumm-Musik lief, telefonieren wollen, nein, es klang eher so, als ob das Bummbumm durch eine Wand kam, es dringen ja nur die tieferen Töne durch die Wände, das hatte mir Ferdi, der alte House-Guru, mal erzählt, der hatte dauernd solche Sachen auf Lager gehabt, es hatte etwas mit der Wellenlänge zu tun, »wenn die Longitudinalwelle länger ist als die Wand dick«, hatte er behauptet, »dann dringt die Welle durch, wenn nicht, wird sie reflektiert«, so hatte er das Phänomen erklärt, wieso man durch die Wände immer nur noch den Bass und die Bassdrum hört und das ganze Gefiepe und Gedudel eben schon nicht mehr, und sowas merkt man sich über ganze Jahre hinweg, während man zugleich drei Tage hintereinander im Baumarkt vergisst, die 50-mm-Spaxschrauben einzukaufen, obwohl sie ganz oben auf dem Zettel stehen, so ist das nun mal, wenn zu viele Synapsen verschmort sind, dachte ich, während ich dem Bummbumm und dem Gemurmel zuhörte, das sich in das Bummbumm hineinmischte, und dann nahm wohl jemand die Hand von der Sprechmuschel und rief zugleich: »Was soll ich ihn nochmal fragen?«, und das Bummbumm war schon erheblich lauter und auch fiepsiger jetzt, war es wohl die Hand und nicht die Wand gewesen, die da alles gedämpft hatte, falsch geraten, die ganze schöne Gedankenarbeit für nichts, und ich rief »Hallo« in die Muschel, aber gedämpft, im Zimmer neben dem Tischchen, auf dem das Telefon stand, schlief Astrid, die wollte ich auf keinen Fall wecken.
    »Charlie?« Es war Raimund, keine Frage. Er klang zwar etwas heiser, aber das war er im Club immer, er schrie ja so viel herum, wenn er sich amüsierte.
    »Ja.«
    »Charlie, bist du das?«
    »Ja.«
    »Kann dich nicht hören?«
    »Dann mach doch mal die Musik leiser!«
    »Haha, der war gut, immer der gute alte Charlie.«
    »Ja, ich fand ihn auch gut.«
    »Was?«
    »Egal.«
    »Hör mal, ich kann dich kaum verstehen, Charlie, ich hab nur eine Frage eben …«
    Wieder wurde die Musik gedämpft und dann wurde sie wieder lauter, da hatte jemand seine Hand oder die Sprechmuschel oder beides nicht richtig im Griff, und Raimund sagte in eine andere Richtung »Ach so«, und dann hörte ich einige Zeit nur Musik und ich verspürte ein seltsames Ziehen und der ganze Körper wollte durch die Telefonleitung kriechen und am anderen Ende im BummBumm Club, der alten Unsinnsbasis von Raimund und Ferdi, den Space-Kadetten des deutschen Clubwesens, aus der Sprechmuschel wieder rauskommen und gleich mitmachen, irgendwas trinken, Mineralwasser meinetwegen, und einfach nur dabei sein, nicht mal tanzen, tanzen war eh nicht so mein Ding, aber einfach dabei sein, abhängen, Unsinn reden.
    »Charlie?«
    »Ja.«
    »Charlie, bist du da?«
    »Ja klar.«
    »Was ich fragen wollte, sagt Ferdi: Hast du einen Führerschein?«
    »Ja.«
    »Klasse 3?«
    »Natürlich Klasse 3, was denn sonst?«
    »Hör mal, alles klar, ich kann mich jetzt nicht mit dir unterhalten, ist zu laut hier, hast du also, ja?«
    »Ja, hab ich.«
    »Führerschein?«
    »Ja.«
    »Klasse 3?«
    »Ja.«
    »Alles klar.«
    Und dann legte Raimund auf. Die Uhr auf dem Telefontischchen zeigte 6:18, und Raimund und Ferdi waren noch voll dabei. Und ich schon wieder. Das verwirrte mich: Hieß das nun, dass wir irgendwie eine Verbindung hatten, dass da sowas wie ein Wurmloch war zwischen dieser und der anderen Welt und 6:18 Uhr am Morgen die Zeit, an der das Wurmloch geöffnet wurde, so wie es sich immer in den Science-Fiction-Heftchen von Klaus-Dieter öffnete, er hatte mir mal ein paar davon geliehen, er las die Dinger tagaus, tagein, und immer taten sich irgendwelche Wurmlöcher auf, ein bisschen zu oft für meinen Geschmack, das müffelte nach verschwitzter Sublimierung, wenn man mich fragte, aber mich fragte ja keiner, außer Klaus-Dieter, und dem konnte man mit sowas nicht kommen, »prima Geschichte« war das Einzige, was Klaus-Dieter bei seinen Heftchen als Literaturkritik verkraften konnte.
    Nun ja, jedenfalls war ich verwirrt,
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