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Magical Mystery

Magical Mystery

Titel: Magical Mystery
Autoren: Sven Regener
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um die Tiere zu füttern, denn das wäre natürlich auch möglich gewesen, dass man erst einmal Rüdigers verkalkte Röchelmaschine auf ihren langen Marsch schickte, bevor man sich in der Küche vom Zoo wie immer einen Nescafé mit demselben heißen Wasser machte, mit dem man auch den Babybrei für die Affen anrührte. Aber das hatte mir immer widerstrebt. Eine Kaffeemaschine in Gang zu setzen, um sich gleich darauf am anderen Ende des Kellers einen Nescafé zu machen, das hatte irgendwie was Gieriges, Kaffeejunkiemäßiges, das hatte einen Hauch von Klaus-Dieter in seinen manischen Momenten, das roch nach Abhängigkeit und auch nach Doofheit, weil man all diese Verrenkungen ja nur machte, um nicht die Kaffeemaschine entkalken zu müssen, und wieso tat man das eigentlich nicht? Am Ende, wenn man mal ganz ehrlich zu sich selber war, was auch ohne Dr. Selges Seelenschredderei gehen musste, war es eine Frage der inneren Sicherheit: Rüdigers Kaffeemaschine entkalkt zu haben, das hätte dem Leben eine neue Qualität gegeben, jedenfalls den Anrufen aus den Gruppen, die hätte man dann schon mit einem Kaffee in der Hand, bei völliger Stille und in friedlicher Stimmung entgegengenommen, vielleicht untermalt von ein bisschen Vogelgezwitscher, das im Frühling durch die gekippten Kellerfenster eingedrungen wäre, und das wäre natürlich toll gewesen, aber die Nachteile lagen auf der Hand, denn wenn man mit dieser Art von Reform erst einmal anfing, dann war Polen offen, wie Henning, der ewige Hitlerjunge, es neulich in der Gruppe in einer Diskussion über die Gefahren von Geleebananen formuliert hatte, was Werner natürlich überhaupt nicht lustig gefunden und Henning auch gar nicht lustig gemeint hatte, so redete er halt, der alte Fähnleinführer, jedenfalls: wenn man erst einmal anfing, alles, aber auch wirklich alles im Leben einer Inspektion und Sanierung zu unterwerfen, wenn man ernsthaft sogar schon Sachen reparierte, die eigentlich noch halbwegs funktionierten, wenn auch röchelnd und sprotzend wie Rüdigers Kaffeemaschine, die ja im Grunde genommen nur den Zustand seiner Blutgefäße und das Geräusch seiner Atemwege nachbildete, dann standen auch andere Dinge zur Reformdebatte, über die man lieber nicht nachdenken wollte, auch wenn man es neuerdings wieder konnte, weil man die Pillen abgesetzt hatte, was sich allmählich bemerkbar machte.
    Also waren die Anrufe aus den Gruppen auch an diesem Morgen schwer zu verstehen, die Kaffeemaschine gurgelte und brodelte und knackte, dass einem angst und bange werden konnte, aber sonst war eigentlich alles ganz okay und ich kam langsam auf andere, bessere Gedanken, die Anrufe aus den Gruppen brachten mich immer gut drauf, verstopfte Klos, kaputte Glühbirnen, herausgerissene Waschbecken, zerstörte Möbel, das waren gute Probleme, die man schnell und einfach lösen konnte, und dann waren alle dankbar und freuten sich, und solange sie mich brauchten, sagten die Erzieher, wenn sie anriefen, auch gerne alles dreimal, weil die Kaffeemaschine eben so laut war, und die Erzieher warteten auch gerne, bis ich endlich kam und mich kümmerte, es brachte ja nichts, wenn man sich wegen dem ersten verstopften Klo gleich mit dem Pümpel auf den Weg machte, nur damit sich die anderen Erzieher in der Zwischenzeit wegen neuen Glühbirnen oder sonstwas die Finger mit der Werkstattdurchwahl wundwählten, und dann musste ich ja auch noch warten, bis die Kaffeemaschine durch war und ich das schwarze Zeug, das sie produzierte, getrunken hatte, das gehörte zum Ablauf, war Teil der Kette verlässlicher Ereignisse, die meinen Tag unterteilten wie das gute alte Bummbumm den deutschen Dance.
    An den ich schon lange nicht mehr gedacht hatte, wie ich dachte, als ich eine Stunde später die Gruppe vier verließ, in der linken Hand den Pümpel, schön abgespült, vom Spülwasser sogar noch tropfnass, aber trotzdem oder vielleicht sogar gerade deswegen von allen, die mir entgegenkamen, misstrauisch beäugt. Schon lange nicht mehr gedacht an den deutschen Dance, dachte ich, so hatte Ferdi ihn immer genannt, was irgendwie seltsam nach Siebzigerdisco und James Last klang, da hatte sich Raimund öfter mal dagegen verwahrt, dass Ferdi das, was Raimund meistens »unser Ding« oder »House« nannte, als deutschen Dance bezeichnete, »das ist doch Ilja-Richter-Scheiße«, hatte er dann immer gesagt, sie waren ein lustiges Paar gewesen, die beiden, jedenfalls den deutschen Dance hatte ich eigentlich schon ziemlich
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