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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
Autoren: Ulla Lachauer
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Erzählen ist ihr Lebenselixier, das auf jeden Fall ist wahr, und es hat viel mit ihrer Blindheit zu tun.
    Als Sehende können wir uns unter Blindheit meist wenig vorstellen. Allein der Gedanke, nicht zu sehen, hat etwas Beängstigendes, ja Entsetzliches für uns. Wenn ich probeweise die Augen schließe, fühle ich mich sofort hilflos. In den Begegnungen mit Magdalena Weingartner habe ich verstanden, dass Blindheit etwas ganz anderes ist, und wie vielfältig sie ist, nach Ursache, Art, Zeitpunkt ihres Eintretens sehr verschieden, vor allem auch in der Weise, mit ihr zu leben. Jorge Luis Borges, der argentinische Dichter, der wie Magdalena «blind» geboren ist, das heißt mit einem winzigen, im Laufe des Lebens immer weiter abnehmenden Sehrest, schrieb: «Die Blindheit war kein totales Unglück, man darf sie nur nicht pathetisch verstehen, man muss sie als eine Lebensform verstehen, als einen Stil des menschlichen Lebens.»
    Oliver Sacks, der Neurologe und Schriftsteller, würde das ähnlich sehen, in seinen Büchern beschreibt er viele Varianten der Blindheit. Auch den Typ des «visuellen Blinden», dazu würde er Magdalena Weingartner zählen: jemand, der seinen Sehrest sehr gut nutzt und noch in der völligen Blindheit eine visuelle Vorstellung der Welt behält. Möglicherweise, meint Sacks, gibt es auch ein «inneres Auge»? Das Interessante daran ist, dass wir aus den Geschichten solcher Menschen etwas verstehen können, was wir normalerweise nicht bemerken und nicht voll erleben, weil es so selbstverständlich ist: Was eigentlich ist Sehen? Dazu brauchen wir eine Magdalena Weingartner. Mit ihrer Hilfe, an ihrer Hand, bin ich eine Zeitlang wie eine Fremde durch meine eigene Welt spaziert.
    Ich lernte, wie fein und kultivierbar die anderen Sinne sind, das Gehör, der Geruchs- und der Tastsinn, das Schmecken, ihre Möglichkeiten und ihr Wechselspiel. Freiburger ihrer Generation werden überrascht sein, in diesem Buch ihre Stadt noch einmal als Topographie der Geräusche und Gerüche zu erfahren. Wer den Bombenangriff vom 27. November 1944 erlebt und viele Augenzeugenberichte darüber gelesen hat, dem wird Magdalena Weingartners Erzählung bekannt vorkommen, und doch ist sie ganz anders.
    Diese andere «Sicht», die sie uns ermöglicht, zieht sich durch beinahe acht Jahrzehnte, von der Nazizeit in die Bundesrepublik, bis in die unmittelbare Gegenwart. Sie ist naturgemäß kritisch – eine, die von der immer weiter sich beschleunigenden und zunehmend aufs Sehen fixierten Welt ausgeschlossen ist, kann nur kritisch sein. Magdalena Weingartner «sieht» schärfer als andere die damit verbundene Entfremdung, den Irrsinn dieses Wandels. Sie und ihr Mann, ein bäuerlicher Mensch, der sich in diesem schwierigen Leben als idealer Bundesgenosse erweist, suchen sich ganz bewusst einen Flecken im Abseits, wo sie möglichst selbständig, in dem ihnen eigenen Tempo, existieren können. Natürlich verwandelt sich auch dieser, und zwar dramatisch. Magdalena Weingartner registriert die Veränderungen des ländlichen Mikrokosmos, sie wird zu einer aufmerksamen Chronistin ihres oberrheinischen Dorfes, ähnlich wie Geert Mak im friesischen Jorwerd oder Jean Egen im elsässischen Lautenbach. Das wunderbare Paradox ist, dass sie in der Auseinandersetzung mit dem Neuen, dem sie grundsätzlich skeptisch gegenübersteht, lebendig bleibt. «Und nicht verblödet», wie sie meint, «eine der größten Gefahren auf dem Dorf.»
    Die Biographie der Blinden und die Chronik der Gesellschaft der Sehenden ist die Geschichte ein und derselben Welt. Darin geht es nicht zuletzt um den Skandal der Ausgrenzung, um verschiedene Weisen der Diskriminierung und die Schwierigkeiten der Weltorientierung. Der Garten ist hier ein wichtiger Platz – ein schöpferischer Ort, in dem Magdalena lebt, was sie anderswo nicht kriegen kann, ein großer Laufstall, der bleibt und immer bedeutsamer wird, je weniger sie sich außerhalb davon zurechtfindet. Wir staunen darüber, mit Fug und Recht, eine blinde Gärtnerin ist heutzutage eine absolute Ausnahmeerscheinung. Bis vor nicht allzu langer Zeit war es ganz normal, dass Blinde im Garten wirkten, sie taten es einfach, und niemand störte sich daran oder fand es seltsam.
    Magdalenas Blindheit ist erblich, und ihre Lebensgeschichte führt uns auch auf das heikelste Terrain: Darf ich ein Kind haben? Mit bewundernswürdiger Offenheit spricht sie über ihre Not, herzzerreißende Passagen. In der mündlichen Äußerung sind
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