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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
Autoren: Ulla Lachauer
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warmes Bad, dann aale ich mich in Geschichten. Er berichtet von Tandemfahrten, die er mit seiner Freundin Marie unternimmt, sie radeln oft, von München bis zum Chiemsee, sogar bis Salzburg. Die Natur unterwegs, wie waren die Betten im Gasthaus, auf welchem Stück der Strecke hat es geregnet, und wie lange, alles farbig und ausführlich. Die Glocken von irgendeinem Kuhdorf, wie haben sie geklungen? «A – cis – e – fis, so ein schönes Salve-Regina-Geläut hast du noch nicht gehört, Magdalena.» Und immer wieder Orgelgeschichten, den ganzen Prozess der Rekonstruktion einer Silbermannorgel hat er mir letztes Jahr haarklein erzählt.
    «Und wo kriegt ihr das Holz für das Gehäuse her?»
    «Das genau ist das Problem. Heute ist das Tannenholz anders als das in der Barockzeit.»
    «Wer macht diesmal die Pfeifen?»
    Tausend Dinge spielen eine Rolle. Lukas’ Leidenschaft ist ansteckend, ich lasse mich gern von ihm überallhin führen und, wenn nötig, auch überzeugen. Er ist der Meinung, man könne eine zweihundertfünfzig Jahre alte Orgel zwar rekonstruieren, aber zu behaupten, sie ist genau wie die von Silbermann seinerzeit, sei purer Blödsinn. «Dann müssten wir ja auch Petroleumlampen anzünden.» Er kann sich richtig schön ereifern. «Und den sauren Wein trinken, den der Silbermann getrunken hat.» Leider hat er viel zu selten Gelegenheit, einen Orgelbauer zu beraten. In seine Begeisterung hat sich über die Jahre der Zorn eingenistet. Schon länger ist er – als promovierter Musikwissenschaftler – ohne feste Stelle. Auch wenn er seine Traurigkeit und die finanziellen Nöte vor uns verbirgt, spüren Konrad und ich natürlich, was los ist.
    Einmal in meinem achten Lebensjahrzehnt bin noch verreist. Ich wollte unbedingt einmal fliegen, etwas, was ich mir als Mädchen schon vorgenommen hatte. Letztes Jahr, an einem Sonntag im Mai, bin ich von Basel nach Berlin geflogen.
    Fliegen! Whoawhoawhoawwhoah, mit einem Dröhnen fängt es, das Fliegen. Was für eine gewaltige Kraft so eine Maschine hat, unverhofft steht sie fast senkrecht über der Landschaft, die Schnauze nach oben. Komischerweise habe ich keine Angst, ich stemme meine Füße fest in den Boden, breitbeinig wie eine Bäuerin, bis unser Airbus in der Waagerechten ist. Links von mir ist eine verglaste Luke, durch die ich in den Himmel schaue. «Unsere Reisehöhe beträgt 6000 Meter» sagt jemand durch, ein lässiger Typ, der Pilot wahrscheinlich. Als wir durch die Wolkendecke stoßen, ist da oben alles mit einem unheimlich reinen Blau bedeckt. Ich beobachte, wie das Weiß zurücksinkt und das Blau immer stärker wird. Sagenhaft schön ist das! Und ich denke, du lieber Gott, ich sehe genauso viel wie die Sehenden, nämlich Weiß und Blau. Kurz vor Berlin ist alles vorbei, die Häuser im Anflug kann ich nicht mehr erkennen, nicht mal, als wir direkt darüber sind.
    So wie es jetzt aussieht, wird Blau meine allerletzte Farbe sein. Zum Blau habe ich seit meiner Jugend immer ein zwiespältiges Verhältnis gehabt. Ritterspornblau liebe ich sehr, das kräftige, kompakte, der Kornblume ähnlich. Vergissmeinnichtblau hingegen gar nicht, es ist mir zu lieblich. Blau ist im Garten die Farbe, die alles zum Leuchten bringt. Es bedeutet Treue, insofern ist es für mich wichtig, und als Farbe der Mariengewänder ist es Symbol der Reinheit. Der Himmel ist blau. Und weil dieser selten so war, dass ihn mein Auge erfassen konnte, und weil er fern ist, man ihn nicht an sich ranholen und berühren kann wie ein Blatt oder eine Orange, war Blau für mich vor allem das Unerreichbare.
    Jetzt ist schon Oktober, es geht auf Monatsende zu. Die Dahlienknollen sind bereits eingewintert, diesmal haben Konrad und ich es sogar rechtzeitig geschafft. Heute ist ein grauer Tag und für mich ein besonders schöner Tag – ich war in der Sonnenmatter Schule, wie jedes Jahr um diese Zeit. Kurz vor den Herbstferien bin ich immer dort eingeladen, um den Kindern der zweiten Klasse im Rahmen einer Unterrichtseinheit über die «Die Sinne» zu erzählen, was Blindheit bedeutet. Gegen meine Gewohnheit habe ich es aktuell gemacht und mit der Fußballweltmeisterschaft angefangen.
    «Leute, ihr habt fünf Sinne, wenn einer wegfällt, brauchen wir einen Ersatzspieler. Wer ist der Ersatzspieler fürs Auge?»
    «Das Ohr!», schrien drei bis fünf Kinder sofort.
    «Und wen kann man noch als Ersatzspieler einstellen?»
    «Die Händ!» Und das nächste Mädle: «Die Füß. Das merkt man beim
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