Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Magazine of Fantasy and Science Fiction 10 - Wanderer durch Zeit und Raum

Magazine of Fantasy and Science Fiction 10 - Wanderer durch Zeit und Raum

Titel: Magazine of Fantasy and Science Fiction 10 - Wanderer durch Zeit und Raum
Autoren: V.A.
Vom Netzwerk:
auf das Bild.
    »Das, mein Freund, ist der echte Leonardo! Verstehst du denn immer noch nicht, Charles? Die Version in deiner linken Hand, die du so bewunderst, ist eine Fälschung, hergestellt wenige Jahre nach Leonardo da Vincis Tod.« Er lächelte über mein verblüfftes Gesicht. »Glaube mir, es ist wahr. Die veränderte Gestalt an sich ist von geringer Bedeutung, niemand hat auf sie geachtet. Das übrige Bild ist echt. Die Veränderung wurde erst vor knapp fünf Monaten entdeckt, als das Gemälde gereinigt wurde. Mit Infrarot konnte das Original fotografiert werden. Du hältst die Aufnahme in der linken Hand.« Er zog weitere Bilder aus dem Stapel und reichte sie mir. Es waren Vergrößerungen des Kopfes. »Du kannst die Pinselführung genau erkennen. Die Veränderung wurde von einem Mann vorgenommen, der mit der Rechten malt. Leonardo aber war, wie jeder weiß, Linkshänder.«
    »Nun ... das ist seltsam. Aber wenn das stimmt, was du sagst warum sollte jemand ein Interesse daran gehabt haben, eine solche Kleinigkeit zu verändern? Der Charakter des Mannes wurde verfälscht. Warum?«
    »Eine interessante Frage«, sagte George zweideutig. »Übrigens die Figur soll Ahasver, den ewigen Juden darstellen.« Er zeigte auf die Füße des Mannes. »Man stellt ihn mit den kreuzgebundenen Sandalen der Essenersekte dar.«
    »Der ewige Jude«, murmelte ich. »Merkwürdig. Der Mann, der Christus verhöhnte und ihn antrieb, schneller zu gehen, als er das Kreuz trug, und der dafür verflucht wurde, bis ans Ende aller Tage zu leben. Fast sieht es so aus, als wollte der unbekannte Fälscher den ewigen Juden in ein besseres Licht stellen, sein Mitgefühl übertreiben. Leonardos Darstellung genügte ihm nicht. Übrigens eine Idee für dich, George. Du weißt doch, daß früher reiche Kaufleute von den Künstlern in ihren Bildern verewigt wurden. Wenn der ewige Jude wirklich herumwandert, war er es vielleicht, der Leonardo Modell stand. Später kam er dann zurück, um die Fälschung vorzunehmen. Man könnte eine Geschichte daraus machen, nicht wahr?«
    Ich sah über den Tisch hinweg zu George. Er nickte langsam. Seine Augen waren ernst. Ich konnte keinen Humor in ihnen entdecken.
    »George!« rief ich erschrocken aus. »Ich machte nur Spaß! Du nimmst doch nicht etwa an ...?«
    Er unterbrach mich mit fester Stimme:
    »Gib mir noch ein paar Minuten, Charles. Ich habe dich gewarnt, indem ich dir sagte, wie phantastisch meine Theorie sei.« Ehe ich protestieren konnte, gab er mir ein anderes Foto. Die ›Kreuzigung‹ von Veronese. »Siehst du jemand darauf, den du bereits kennst? Im Vordergrund links.«
    Ich hielt das Foto näher ans Licht.
    »Ja, du hast recht. Die venezianische Ausführung ist zwar anders, mehr heidnisch würde ich sagen, aber die Ähnlichkeit ist unverkennbar.«
    »Es ist nicht nur Ähnlichkeit. Beachte die Pose, die Charakterisierung.«
    Ahasver war wieder durch den schwarzen Umhang und die kreuzgebundenen Sandalen erkenntlich. Er stand im Gedränge der Zuschauer. Ungewöhnlich war nicht nur, daß er die gleiche Haltung wie auf dem Bild von da Vinci einnahm, daß sein Gesichtsausdruck ebenfalls von ergreifendem Mitgefühl zeugte – eine völlig sinnlose Interpretation übrigens –, sondern daß die beiden Gesichter fast identisch zu nennen waren. Den Künstlern mußte derselbe Mann Modell gestanden haben. Bei Veronese war der Bart ein wenig breiter, aber das Gesicht, die Schläfen, Nase und Mund, die weise Resignation der Augen und der Ausdruck des Mitleids, da gab es kaum einen Unterschied.
    »Ein phantastischer Zufall«, sagte ich hilflos.
    George nickte.
    »Es gibt mehr davon. Dieses Bild wurde nämlich auch gestohlen, kurz nachdem man es gereinigt hatte. Als man es zwei Jahre später wiederfand, war es beschädigt. Man hat niemals versucht, es zu restaurieren. Siehst du nun, was ich meine?«
    »Mehr oder weniger. Du willst sagen, daß man, würde man Veroneses Gemälde restaurieren und reinigen, einen anderen Ahasver fände. Die Originalauffassung des Veroneses, nicht wahr?«
    »Genau. Die jetzige Charakterisierung ergibt keinen Sinn. Wenn du aber immer noch Zweifel hegst, dann betrachte auch noch die anderen Reproduktionen.«
    Sie brachten nur eine Bestätigung des Unfaßbaren.
    Sowohl Poussin, Holbein, Goya und Rubens hatten die gleiche Figur in ihren Bildern. Immer wieder das gleiche finstere Gesicht das mit verständnisvollem Mitleid zum Kreuz emporblickte. Hinsichtlich der verschiedenen Stilarten der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher