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Maerchen Fuer Kinder

Titel: Maerchen Fuer Kinder
Autoren: Hans Christian Andersen
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Halte Dich daran, vielleicht erkennst Du den Herzschlag Deines Kindes, aber was giebst Du mir, wenn ich Dir sage, was Du noch mehr zu thun hast?«
    »Ich habe nichts zu geben,« sagte die betrübte Mutter, »aber ich will für Dich bis ans Ende der Welt gehen!«
    »Ja, dort habe ich nichts zu schaffen,« sagte die Frau, »aber Du kannst mir Dein langes, schwarzes Haar geben, Du weißt wohl selbst, daß es schön ist, und mir gefällt es! Du kannst mein weißes dafür bekommen, das ist doch immer etwas!«
    »Verlangst Du weiter nichts,« sagte sie, »das gebe ich Dir mit Freuden!« Und sie gab der Alten ihr schönes Haar und erhielt deren schneeweißes dafür.
    Dann gingen sie in das große Treibhaus des Todes, wo Blumen und Bäume wunderbar durcheinander wuchsen. Da standen feine Hyacinthen unter Glasglocken und da standen große, baumstarke Pfingstrosen; da wuchsen Wasserpflanzen, einige recht frisch, andere kränklich, Wasserschlangen legten sich auf dieselben und schwarze Krebse klemmten sich am Stengel fest. Da standen schöne Palmenbäume, Eichen und Platanen, da stand Petersilie und blühender Thymian, jeder Baum und jede Blume hatte ihren Namen, sie waren jeder ein Menschenleben, der Mensch lebte noch, der eine in China, der andere in Grönland, ringsumher auf der Erde. Da waren große Bäume in kleinen Töpfen, sodaß sie ganz verkrüppelt dastanden und nahe daran waren, den Topf zu sprengen. An manchen Stellen stand auch eine kleine schwächliche Blume in fetter Erde, mit Moos ringsumher bedeckt und gepflegt. Aber die betrübte Mutter beugte sich über alle die kleinsten Pflanzen und hörte, wie in ihnen das Menschenherz schlug, und unter Millionen erkannte sie das Herz ihres Kindes wieder.
    »Das ist es!« rief sie und streckte die Hand über eine kleine blaue Crocus aus, welche ganz krank nach der einen Seite hinüberhing.
    »Berühre die Blume nicht!« sagte die alte Frau, »aber stelle Dich hierher, und wenn dann der Tod kommt – ich erwarte ihn jeden Augenblick – dann laß ihn die Pflanze nicht ausreißen, und drohe ihm, daß Du dasselbe mit den andern Pflanzen thun würdest, dann wird ihm bange werden! Er ist dem lieben Gott dafür verantwortlich, ohne dessen Erlaubnis keine ausgerissen werden darf.«
    Auf einmal sauste es eiskalt durch den Saal und die blinde Mutter konnte fühlen, daß es der Tod war, der da kam.
    »Wie hast Du den Weg hierher finden können?« fragte er. »Wie konntest Du schneller hierher gelangen, als ich?«
    »Ich bin eine Mutter!« sagte sie.
    Und der Tod streckte seine lange Hand nach der kleinen, feinen Blume aus, aber sie hielt ihre Hände fest um dieselbe, fest und dennoch besorgt, daß sie eines der Blätter berühren möchte. Da blies der Tod auf ihre Hände und sie fühlte, daß dies kälter war, als der kalte Wind, und ihre Hände sanken matt herab.
    »Du vermagst doch nichts gegen mich!« sagte der Tod. –
    »Aber das vermag der liebe Gott!« sagte sie.
    »Ich thue nur, was er will!« sagte der Tod. »Ich bin sein Gärtner! Ich nehme alle seine Blumen und Bäume und verpflanze sie in den Garten des Paradieses, in das unbekannte Land, aber wie sie dort wachsen und wie es dort ist, das darf ich Dir nicht sagen!«
    »Gieb mir mein Kind zurück!« sagte die Mutter und weinte und bat. Mit einemmal griff sie mit jeder Hand um zwei hübsche Blumen neben sich und rief dem Tode zu: »Ich reiße alle Deine Blumen ab, denn ich bin in Verzweifelung!«
    »Rühre sie nicht an!« sagte der Tod, »Du sagst, Du seiest unglücklich und nun willst Du eine andere Mutter eben so unglücklich machen!«
    »Eine andere Mutter!« sagte die arme Frau und ließ sogleich beide Blumen los.
    »Da hast Du Deine Augen!« sagte der Tod, »ich habe sie aus dem See aufgefischt, sie leuchteten so stark, ich wußte nicht, daß es die Deinigen waren; nimm sie wieder, sie sind jetzt klarer als zuvor, sieh dann in den tiefen Brunnen hier nebenbei hinab, ich werde die Namen der beiden Blumen nennen, die Du ausreißen wolltest und Du wirst ihre ganze Zukunft, ihr ganzes Menschenleben erblicken, sieh, was Du zerstören und zu Grunde richten wolltest.«
    Sie sah in den Brunnen hinab und es war eine Glückseligkeit zu sehen, wie der eine ein Segen für die Welt ward, zu sehen, wie viel Glück und Freude sich ringsum entfaltete. Und sie erblickte das Leben der andern, und es war Trauer und Not, Jammer und Elend.
    »Beides ist Gottes Wille!« sagte der Tod.
    »Welche ist die Blume des Unglücks und welche die
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