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Maerchen Fuer Kinder

Titel: Maerchen Fuer Kinder
Autoren: Hans Christian Andersen
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nicht Mensch geblieben, aber das wurde ich, und zugleich lernte ich meine innerste Natur, mein Angeborenes, die Verwandtschaft, die ich mit der Poesie hatte, kennen. Ja, damals, als ich bei Ihnen war, dachte ich nicht darüber nach, aber immer, das wissen Sie, wenn die Sonne auf- und unterging, wurde ich so wunderbar groß, im Mondschein war ich fast noch deutlicher, als Sie selbst. Ich verstand damals meine Natur nicht, im Vorgemach der Poesie wurde es mir klar. – Ich wurde Mensch! – Reif ging ich daraus hervor, aber Sie waren nicht mehr in den warmen Länderr; ich schämte mich, als Mensch zu gehen, wie ich ging, ich bedurfte der Stiefel, der Kleider, dieses ganzen Menschenfirnisses, welches den Menschen kenntlich macht. – Ich suchte Schutz, ja, Ihnen sage ich es, Sie setzen es ja in kein Buch, ich suchte Schutz im Rock der Kuchenfrau, darunter versteckte ich mich. Die Frau dachte gar nicht daran, wieviel sie verberge; erst am Abend ging ich aus, ich lief im Mondschein auf der Straße herum, ich streckte mich lang gegen die Mauer, das kitzelte so schön den Rücken, ich lief hinauf und hinab, schaute durch die höchsten Fenster in die Säle und aufs Dach, ich sah hin, wohin niemand sehen konnte, und ich erblickte, was kein anderer sah, was niemand sehen sollte. Es ist im Grunde eine böse Welt! Ich möchte nicht Mensch sein, wenn es nicht einmal angenommen wäre, daß es etwas bedeute, es zu sein! Ich sah das Allerunglaublichste bei den Frauen, bei den Männern, bei den Eltern und bei den unvergleichlich lieben Kindern; – ich sah,« sagte der Schatten, »was kein Mensch wissen sollte, was sie aber alle so gern wissen möchten, das Böse bei den Nachbarn. – Hätte ich eine Zeitung geschrieben, die wäre gelesen worden! Aber ich schrieb gerade an die Personen selbst, und es entstand Schrecken in allen Städten, in die ich kam. Sie wurden bange für mich, und sie hatten mich außerordentlich lieb. Die Lehrer machten mich zum Lehrer, die Schneider gaben mir neue Kleider, ich bin gut versorgt; der Münzmeister schlug Münzen für mich, und die Frauen sagten, ich sei schön! – So wurde ich der Mann der ich bin, und nun sage ich Ihnen Lebewohl; hier ist meine Karte, ich wohne auf der Sonnenseite und bin bei Regenwetter immer zu Hause!« Damit ging der Schatten.
    »Das war doch merkwürdig!« sagte der gelehrte Mann.
    Es verstrichen Jahr und Tag, dann kam der Schatten wieder.
    »Wie geht es?« fragte er.
    »Ach!« sagte der gelehrte Mann, »ich schreibe über das Wahre, und das Gute, und das Schöne, aber niemand mag dergleichen hören, ich bin ganz verzweifelt, denn ich nehme mir das so zu Herzen!«
    »Das thue ich nicht,« sagte der Schatten, »ich werde fett, und das muß man zu werden trachten! Ja, Sie verstehen sich nicht auf die Welt. Sie werden krank dabei. Sie müssen reisen! Ich mache im Sommer eine Reise, wollen Sie mitkommen? Ich möchte wohl einen Reisekameraden haben, wollen Sie als Schatten mitreisen? Es wird mir sehr viel Vergnügen machen, Sie mitzunehmen, ich bezahle die Reise!«
    »Das geht zu weit!« sagte der gelehrte Mann.
    »Das ist gerade, wie man es nimmt!« sagte der Schatten. »Eine Reise wird Ihnen außerordentlich wohl thun! Wollen Sie mein Schatten sein, so sollen Sie auf der Reise alles frei haben!«
    »Das ist zu toll!« sagte der gelehrte Mann.
    »Aber die Welt ist nun so,« sagte der Schatten, »und so bleibt sie auch!« und dann ging der Schatten.
    Dem gelehrten Mann ging es gar nicht gut, Sorgen und Plagen verfolgten ihn; und was er über das Wahre, und das Gute und das Schöne sagte, das war für die meisten gerade wie die Rosen für eine Kuh! – Er ward zuletzt krank.
    »Sie sehen wirklich wie ein Schatten aus!« sagten die Leute zu ihm, und es schauderte den gelehrten Mann, wenn er darüber nachdachte.
    »Sie müssen in ein Bad reisen,« sagte der Schatten, der ihn zu besuchen kam, »da hilft nichts weiter! Ich will Sie aus alter Bekanntschaft mitnehmen, ich bezahle die Reise, und Sie machen die Beschreibung und belustigen mich ein wenig unterwegs! Ich will nach einem Bade, mein Bart wächst nicht hervor, wie er sollte, das ist auch eine Krankheit, und einen Bart muß man haben! Seien Sie nun vernüftig, und nehmen Sie mein Anerbieten an, wir reisen ja wie Kameraden!«
    Und dann reisten sie, der Schatten war Herr, und der Herr war Schatten. Sie fuhren mit einander, sie ritten und gingen zusammen, Seite an Seite, vor und hintereinander, je nachdem die Sonne stand. Der
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