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Märchen, Der Falke unter dem Hut ab 9 Jahre

Titel: Märchen, Der Falke unter dem Hut ab 9 Jahre
Autoren: Viele Verschiedene
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mein königlicher Vater bestimmt.“ Damit übergab er Poknagi Scheren und Schabmesser, die Instrumente seiner künftigen Arbeit. Der Junge verneigte sich wiederum tief, um seinen haßerfüllten Blick zu verbergen, dann sagte er mit fester Stimme: „Königlicher Herr, ich bin nicht würdig, deine Haare zu scheren, ja, ich bin sogar einer der Unwürdigsten. Bevor du meine Hilfe in Anspruch nimmst, muß ich dir etwas gestehen: Ich wollte dir meinen Dolch ins Herz stoßen, auf daß ein für allemal deiner Grausamkeit ein Ende gesetzt würde. Doch meine fromme Mutter nahm mir das Versprechen ab, niemals so etwas zu tun. ,Die Person des Königs ist heilig“, sagte sie. ,Die Götter schützen ihn, und wenn sie ihn vor den Blicken der Menschen verbergen, haben sie gewiß noch Großes mit ihm vor.“ Wie recht meine Mutter hatte, davon konnte ich mich jetzt überzeugen. Jene besonders geformten Ohren, die du zu Unrecht Eselsohren nanntest, haben dir die Götter mit voller Absicht verliehen. Sie tun dir durch meinen Mund kund, du mögest nicht länger" säumen, als ihr Werkzeug die Aufgaben zu erfüllen, die sie dir zugedacht haben.“
    Der König blickte den kühnen Jüngling betroffen und zugleich verwundert an und bat ihn fortzufahren. „Was verlangen die Götter von mir?“
    „O Majestät, unzählige Menschen deines Volkes leiden unter Hunger und Not, doch ihre Bitten gelangten noch nie an das Ohr ihrer Könige. Unter deiner Herrschaft ist es um vieles schlimmer geworden, denn die Beamten, die du über sie gesetzt hast, regieren mit Willkür, weil sie wissen, daß du unsichtbar bleiben willst und darum machtlos bist. Aber das Volk wartet auf den Tag, da du aus deiner Abgeschiedenheit hervortrittst und seiner Stimme Gehör schenkst. Die Götter haben dir jene besonderen Ohren als hohe Auszeichnung verliehen, o König, denn gewöhnliche Menschenohren wären viel zu klein, all das aufzunehmen und zu bewahren, was dir deine Untertanen zu sagen haben.“
    Der König war von Poknagis Worten aufs tiefste getroffen. Wenn cs stimmte, was dieser Jüngling ihm soeben verkündete, so gab es für ihn also doch noch eine Hoffnung, dieses traurige Leben in der Einsamkeit zu beenden? Er verhüllte sein Gesicht und dachte lange nach.
    Poknagi stand, ohne sich zu rühren.
    Endlich sagte der König: „Deine Worte waren scharf wie ein geschliffener Dolch, doch ich fühle, du hast die Wahrheit gesprochen. Ich werde darüber nachdenken. - Eines will ich dir heute schon versprechen: Deiner Mutter werde ich bis an ihr Lebensende täglich ein Goldstück zahlen lassen, damit sie nie in Not gerät. Das schwöre ich dir bei allen Göttern. Und jetzt laß mich allein.“
    Poknagi war glücklich, die Mutter für ihr Leben versorgt zu wissen. Auch stimmte ihn zuversichtlich, daß der Herrscher seine Worte so ernst und nachdenklich aufgenommen hatte.
    Der König gewöhnte sich rasch an Poknagi, der ein angenehmer Gesellschafter war. Beim Haarschneiden und Bartscheren stellte er sich geschickter an als die jungen Männer vor ihm, seine Hand war zart und fest. Bei Tisch unterhielt er den König mit klugen Reden oder heiteren Geschichten. Zum ersten Mal dachte der König angstvoll an den Tag, an dem sein alter Minister dem Jüngling das Gift reichen würde, wie es nach dem Befehl seines verstorbenen Vaters zu geschehen hatte.
    Doch Poknagi hatte seine Zeit nicht ungenützt verstreichen lassen. Am achtundzwanzigsten Tage fragte er: „Was hast du beschlossen, hoher Herr? Willst du dich weiterhin den Wünschen der Götter widersetzen?“
    Der König schlug erschrocken die Augen nieder und schwieg.
    Da sagte Poknagi: „Mir scheint, du fürchtest dich weniger vor dem Zorn und der Strafe der Götter als vor dem vermeintlichen Gespött deiner Hofleute? Ist cs so, Majestät?“
    Der König nickte stumm. Der Jüngling aber sprach: „Niemals wird ein Herrscher verlacht, dem das Wohl und Wehe seines Volkes am Herzen liegt. Doch weil ich ahnte, daß du nur schwer den Mut aufbringen würdest, nach meinen Worten zu handeln, habe ich mir mit Hilfe der Götter etwas ausgedacht. Damit sollen deine langen Ohren unsichtbar gemacht werden.“
    „Wie ist das möglich?“ rief der König, und die Röte der Freude schoß in seine Wangen. „Wenn du das fertigbringst, will ich dir nicht nur dein Leben schenken, sondern dich zu meinem Ersten Ratgeber und Minister machen.“ Doch schon wieder mißtrauisch, fuhr er fort: „Keinesfalls aber darfst du mir meine Ohren
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