Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Männerstation

Männerstation

Titel: Männerstation
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Dozent Dr. Pflüger, der sich immer ›einen besser bezahlten dummen Jungen‹ nannte, weil auch er von Morus wie ein Pflichtassistent behandelt wurde.
    An diesem Sonntag war Dr. Pflüger im Krankenhaus. Er hatte den hinteren Eingang genommen, über den Laborflur, und so wußte niemand, daß er im Hause war. Er war gleich in sein Zimmer gegangen, das neben dem OP I, dem großen Operationssaal, lag. Auch Beißelmann wußte es nicht, als Dr. Bernfeld ihn rufen ließ und verzweifelt auf einen Stapel Schnellhefter wies.
    »Beißelmann, ich finde keinen Unfallberichtsbogen! Es ist zum Kotzen! Das Sekretariat ist abgeschlossen, ich habe schon versucht, hineinzukommen. Auch Schwester Lucia hat keinen zweiten Schlüssel, zumindest findet sie ihn nicht. Der Teufel ist los, wenn der Chef erfährt, daß ein Unfall nicht sachgemäß aufgenommen ist.«
    »Beim Oberarzt liegen noch welche«, sagte Beißelmann nachdenklich. »Der hat immer alle Formulare da. Ich gehe eins holen.«
    »Wenn da auch abgeschlossen ist …«
    »Der schließt nie ab. Und wenn … alle Schlüssel vom OP-Flur hat die Innozenzia.«
    »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die Bogen organisieren könnten.« Dr. Bernfeld nickte Beißelmann lachend zu. »Sie Brummbär!«
    Leise, lautlos wie immer, verließ Beißelmann den Bereitschaftsraum. Ebenso leise ging er zum OP-Trakt, tappte durch den langen, stillen, verlassenen, weißgekachelten Gang und stieß mit einer Bewegung seiner riesigen Hände die Tür zu Dr. Pflügers Zimmer weit auf.
    Dann stand er auf der Schwelle, leicht vorgebückt, die Hände an den Seiten herabhängend, und starrte in das Zimmer.
    Dr. Pflüger war aufgesprungen und zog den weißen Kittel, den er offen trug, über Brust und Leib mit beiden Händen zusammen. Sein großflächiges Gesicht mit den schütteren, blonden Haaren war bleich und schweißnaß, durchzuckt von Erregung und Entsetzen. Vor ihm, auf dem großen Ledersofa, lag eine Frau, die bei Beißelmanns Erscheinen mit einem spitzen Schrei den Kopf herumwarf und ihr Gesicht in die Lederpolster vergrub. Es war eine Sekunde zu spät. Beißelmann hatte sie erkannt. Er stand noch immer in der offenen Tür und starrte Dozent Dr. Pflüger aus ausdruckslosen, graugrünen Augen an.
    »Sind … sind Sie verrückt geworden, Beißelmann?!« schnaubte Dr. Pflüger. »Machen Sie, daß Sie hinauskommen. Halt! Bleiben Sie! Schließen Sie die Tür!« Er drehte sich um, ordnete seine Kleidung und fuhr dann wieder herum. Die Frau auf dem Sofa schluchzte auf. Dann erhob sie sich und trat an das Fenster, Beißelmann den Rücken zudrehend. Dr. Pflüger räusperte sich.
    »Ich will nicht fragen, warum Sie so einfach in mein Zimmer kommen, das ist im Augenblick nicht wichtig. Sie sind da, Sie haben etwas gesehen, und ich rechne mit Ihrer Diskretion, schon der Dame wegen. Das ist doch klar, Beißelmann …«
    Der Krankenpfleger schwieg. Dr. Pflüger strich sich nervös über die Haare.
    »Es ist nicht nötig, Ihnen Erklärungen abzugeben«, sagte er mit belegter Stimme. »Ich bitte darum, zu vergessen, was Sie gesehen haben. Über alle anderen Dinge, auch über die Konsequenzen, die sich aus dieser Situation ergeben, unterhalten wir uns morgen, nicht wahr? Ich weiß, daß Sie ein Ehrenmann sind.«
    Der Krankenpfleger schwieg. Dozent Doktor Pflüger spürte ein kaltes Kribbeln unter der Hirnschale. »Sagen Sie doch etwas!« rief er heiser.
    Die Frau drehte sich langsam herum. Ihre Augen waren rot und voll flatternder Angst.
    »Sie … Sie verraten es nicht meinem Mann«, sagte sie kaum hörbar.
    »Nein!«
    »Glauben Sie mir, ich liebe meinen Mann, und …«
    »Sie werden einen vierwöchigen Sommerurlaub nehmen, Beißelmann«, sagte Dr. Pflüger tief atmend. »Vielleicht in Österreich oder an der Riviera. Sie werden keinen Pfennig brauchen … Sie verstehen …«
    Beißelmann sah Dozent Dr. Pflüger noch einmal aus seinen graugrünen Augen an. Aber es war kein toter Blick mehr … aus einer unergründlichen Tiefe war etwas hervorgekommen, was Dr. Pflüger, als er es erkannte, atemlos machte … eine kalte Bereitschaft, eine Gnadenlosigkeit sprungbereiter Bestialität.
    Dann wandte sich Beißelmann ab und verließ so unhörbar, wie er gekommen war, das Zimmer und den OP-Trakt. Im Treppenhaus wartete er, bis die Frau und Dr. Pflüger durch die Glastür kamen. Dann ging er zurück, holte drei Formulare aus Dr. Pflügers Mappe, öffnete die Fenster und blieb auf dem Rückweg vor dem großen Ledersofa stehen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher