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Maenner weinen nicht

Maenner weinen nicht

Titel: Maenner weinen nicht
Autoren: Constanz Loeffler
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eingeatmet. Man fand ihn, bevor es zu spät war. Zu einem zweiten Suizidversuch sollte es auf keinen Fall kommen, seiner Frau, seinen Kindern zuliebe.
    In Ochsenzoll kommt Biermann ins Gespräch mit den Therapeuten – und kann es zulassen, die Spuren seines Lebens zurückzuverfolgen. Zurück in seine Kindheit, in der er wegen seines schmächtigen Körpers gehänselt wurde und man ihn wegen seiner roten Haare Pumuckl rief. Zurück zu seinem einzigen Ausweg, der Flucht in den Fußball. »Für Biermann war der Fußball die einzige Möglichkeit, um die Demütigungen, denen er ausgesetzt war, auszuhalten«, schreibt Rainer Schäfer in dem Buch Rote Karte Depression über Andreas Biermann.
    Später lockt die Profikarriere und mit ihr die große weite Welt: Biermanns außergewöhnliches Talent erlaubt es ihm 1997, als gerade mal 17-Jähriger unter den besten Vereinen Europas wählen zu können. FC Barcelona, Real Madrid – alle Großen hatten Angebote gemacht. Biermann schlägt sie aus, bleibt in Berlin, geht zu Hertha BSC.
    Doch dann machen ihm Verletzungen zu schaffen: eine ausgerenkte Schulter, Komplikationen nach einer Kniespiegelung mit einer sportlichen Zwangspause. Der Sportler Biermann fällt in ein schwarzes Loch. Er kann doch nur Fußball, schafft es nicht, die freie Zeit anderweitig zu nutzen. Es folgt das Urteil des Arztes: Nie wieder Fußball. Für Biermann ein unerträglicher Schiedsspruch. Zeitgleich bemerkt er, dass ihn seine Freundin betrügt. Sein Lebensmut schwindet, der aufs Abstellgleis geschobene Sportler fühlt sich völlig allein gelassen, hilflos, hat sich schon Schlaftabletten zurechtgelegt und geht dann doch für zwei Tage in die Psychiatrie. Nach der Entlassung wird nie mehr von dem Zusammenbruch gesprochen; behandelt werden das Knie, die Schulter, die Wade – nicht seine Psyche. Biermann ist zwar in einem liebevollen Elternhaus groß geworden, doch über Gefühle zu reden, hat er nie gelernt.
    Das Versteckspiel beginnt. Keiner soll merken, dass Biermann kaum schläft, dass ihn Selbstzweifel quälen, er traurig ist und Ängste hat. »Warum ich? Warum immer ich?«, fragt er sich in seiner Autobiografie, wenn er sich erneut verletzt, ein Vertrag nicht zustande kommt, die Fans ihn auspfeifen. Biermann vertraut sich einigen wenigen Menschen an, doch auch die merken nicht, wie zerrissen er ist und dass er ernsthaft leidet. Kein Wunder, er ist ein guter Schauspieler. Denn genau wie Robert Enke hat Biermann panische Angst davor, dass jemand aus der Fußballwelt ahnen könnte, wie es wirklich um ihn steht. Dringen seine psychischen Probleme an die Öffentlichkeit, würde dies das Ende seiner Karriere bedeuten.
    Und dann wirft sich sein Kollege Robert Enke am 10. November 2009 vor den Zug. Seine Frau Teresa wählt am 11. November die Worte, die Biermann eine riesige Last von den Schultern nehmen und ihn mutig machen: Über seinen Club St. Pauli lässt er schon einen Tag später mitteilen: »Ich, Andreas Biermann, 29 Jahre alt, verheiratet und Vater von zwei Kindern, … leide seit mehreren Jahren an Depressionen.«
    Das sind die Fakten
    Pokerspiel und Alkohol, schnelle Autos oder Motorräder und riskante Sportarten: Für viele klingen solche gefährlichen Hobbys nach einer männlichen Midlifecrisis. Ja, das mag sein. Doch gleichzeitig kann ein halsbrecherisches Leben auch Anzeichen sein für eine der häufigsten und tödlichsten Krankheiten des starken Geschlechts: die Männerdepression. Der Profifußballer Andreas Biermann ist einer von drei bis vier Millionen Männern, die im Lauf ihres Lebens an einer Depression erkranken – und einer von geschätzt 100000 jährlich, die versuchen, sich wegen ihrer psychischen Probleme das Leben zu nehmen.
    So dramatisch diese Zahlen klingen mögen, so sehr werden sie auch weiter steigen: Innerhalb der nächsten zehn, zwanzig Jahre, da sind sich Wissenschaftler und die Weltgesundheitsorganisation WHO einig, wird die Depression zur gesundheitlichen Bedrohung Nummer eins werden – noch vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Krebs. Auch bei Männern. Weil wir Depressionen bei Männern besser erkennen werden. Weil die abnehmende Stigmatisierung psychischer Probleme es den Kerlen leichter macht, ihre Probleme zuzugeben und sich Hilfe zu suchen. Aber auch, weil sie durch die veränderten Lebensumstände zunehmend häufiger erkranken werden: Familien zerfallen, die Informationsflut macht es immer schwieriger, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, totale
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