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Maenner weinen nicht

Maenner weinen nicht

Titel: Maenner weinen nicht
Autoren: Constanz Loeffler
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Erreichbarkeit und Jobunsicherheit lassen Privat- und Berufsleben verschmelzen. Die Depression ist die Stresskrankheit des 21. Jahrhunderts. Und wird es bei der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung auch weiterhin bleiben.
    Depressionen machen vor keiner Schicht und vor keinem Alter Halt: Jungs sind ebenso betroffen wie Familienväter und Rentner. Dicke und Dünne, chronisch Kranke und Kerngesunde, Architekten, Müllmänner und Arbeitslose. Ärzte und Psychiater, Prominente und Menschen wie du und ich, Künstler oder Leistungssportler wie Biermann.
    Das Schicksal von Andreas Biermann ist typisch: erste psychische Verletzungen und Zurückweisungen in der Jugend, ein hoher Anspruch an sich selbst, Selbstzweifel, Schuld- und Schamgefühle und Ängste. Wie viele Depressive hat Biermann über Jahre versucht, die glatte Fassade aufrechtzuerhalten, was ihn ungeheure Kraft kostete. In seinem Buch Rote Karte Depression beschreibt er, wie er auf Vereinsfeiern gefeiert, gesungen und getanzt hat. Und das, obwohl es in ihm nur Leere, Kälte und Gefühllosigkeit gab. Mitgemacht habe er nur, um nicht aufzufallen, um nicht entdeckt zu werden. Diese Angst kennen viele Depressive, egal, ob sie bei St. Pauli, beim Autohersteller oder im Getränkegroßmarkt arbeiten.
    Immer weiter rutschte Biermann in die Spirale der Depression hinein: Er lag nächtelang grübelnd wach, war erschöpft, flüchtete sich ins Glücksspiel. »Zeitweilig habe ich versucht, im Pokerspiel jenes Glück zu finden, das mir im Profisport aufgrund meines großen Verletzungspechs immer wieder versagt geblieben ist. Dieses Ventil hätte mich fast in eine Spielabhängigkeit getrieben«, lässt er über seinen Verein St. Pauli im November 2009 mitteilen. Flucht in süchtiges Verhalten, das ist typisch für Männer, sagen die Experten. Bis heute können sich viele Männer ihre psychischen Probleme nicht eingestehen. Hilflosigkeit und Überforderung sind ein Tabu unter echten Kerlen. Sie quälen sich lieber, statt Hilfe zu suchen.
    Doch so hoffnungslos ist die Situation gar nicht. Was offenbar nur wenige Männer wissen: Die Depression ist in den meisten Fällen heilbar, zumindest aber lassen sich ihre Symptome lindern. Als besonders wirksam gelten je nach Art der Depression Psychotherapie und Medikamente, sogenannte Antidepressiva.
Wenn alles zusammenkommt
    Experten zufolge entsteht eine Depression, wenn meh rere Faktoren zusammenkommen. Zunächst bringt jeder Mensch eine gewisse genetische Veranlagung (siehe auch Kapitel 5 »Bis zum bitteren Ende«) für die Erkrankung mit. Des Weiteren prägt der Erziehungsstil in der Familie. Welche Normen gelten hier: Werden Jungs nach besonders strengen Regeln erzogen, müssen sie stark und hart sein und dürfen keine Tränen wie Mädchen vergießen? Werden sie nur geschätzt, wenn sie Leistungen erbringen? Gleiches gilt für gesellschaftliche Ideale: Müssen Männer stark sein, oder dürfen sie auch Schwäche zeigen? Kann man sich nur über Leistung Anerkennung verschaffen, bestimmt also Leistung das Selbstwertgefühl? Das alles ist noch nicht »krank«, führt aber zu depressiv-gehemmten Stilen der Lebensbewälti gung.
    Die depressiven Symptome treten schließlich auf, weil das Gleichgewicht bestimmter Botenstoffe im Gehirn gestört ist. Normalerweise kommunizieren die Nervenzellen über diese Botenstoffe oder Neurotransmitter, die Signale und Informationen zwischen den Nervenzellen vermitteln. Bei Gesunden stehen diese chemischen Substanzen in einem bestimmten Gleichgewicht; bei Depressiven ist das Gleichgewicht gestört. Allen voran sind die Signalstoffe Serotonin, Noradrenalin und Dopamin erniedrigt.
Serotonin ist eines der wichtigsten Hormone in unserem Körper und hat ganz verschiedene Funktionen. Es wirkt auf Appetit und Essverhalten und ist am Gefühl der Sättigung und Angstfreiheit beteiligt. Vor allem aber beeinflusst Serotonin unsere Stimmung und gilt deshalb als »Glückshormon«. Traurigkeit, Angst und Aggressionen gehen mit einem Serotoninmangel einher. Der wiederum bringt auch unseren Schlaf, den Appetit und die Libido durcheinander. Depressiven mangelt es zudem am Stresshormon Noradrenalin. Dadurch können Konzentrationsschwierigkeiten auftreten; einige Betroffene empfinden körperliche Beschwerden verstärkt. Fehlt Dopamin, verlieren wir auch Freude und Inter esse an Dingen, werden antriebsarm und lustlos.
    Medikamente können die Hoffnungslosigkeit und Schwermut bessern. Damit allein ist es jedoch nicht getan.
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