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Maenner und andere Katastrophen - Roman

Maenner und andere Katastrophen - Roman

Titel: Maenner und andere Katastrophen - Roman
Autoren: Kerstin Gier
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so glücklich, als ob Kevin Costner nur ein Dreck gegen ihre neuen Bekanntschaften wäre. Zumal alle Männer nahezu außer sich vor Begeisterung waren, eine so hübsche und interessante Mitbewohnerin wie Bille kennen zu lernen, und miteinander darum wetteiferten, ihre Regale anzubringen, den Teppichboden zu verlegen, Lampen zu installieren und Sekt mit ihr zu trinken.
    Ich beschloss, Bille möglichst bald zu besuchen, um zu sehen, ob auch ein toller Mann für mich dabei war.
    Bille hatte aber auch ein Glück. Der jüngste Mann bei uns im Haus war zweiundachtzig Jahre alt.
    Und dann gab es da noch Frau Kiebig.
    Frau Kiebig hauste in der Wohnung unter mir. Sie lebte dort, seit ich denken konnte. Schon als Kinder hassten wir sie, und ich werde wohl niemals verstehen, wieso meine Eltern die Wohnung an eine wie sie vermieten konnten. Das Schreckliche an ihr war nicht einfach, dass sie dort wohnte. Wenn sie nur wie ein herkömmlicher Mieter in ihrer Wohnung geblieben wäre und uns ab und zu beim Müllraustragen im Flur begegnet wäre!
    Aber nach ganz kurzer Zeit hatte die Alte es geschafft, sich in unserer Familie einzunisten, als wäre sie mindestens mit uns verwandt. Meiner Mutter tat sie leid, und sie hielt uns dazu an, höflich und freundlich zu Frau Kiebig zu sein.
    Niemals werde ich den Nikolausabend vergessen, an dem sie sich wieder einmal selber eingeladen und gar in Gestalt von Nikolaus ihren Beitrag zum Abend geleistet hatte. Ich war neun Jahre alt und längst zu groß, um an den Nikolaus zu glauben und Frau Kiebigs primitive Wattetarnung nicht zu durchschauen. Höchstens wegen meines kleinen Bruders Mo und meiner Cousine Simone hatte dieses Verkleidungsspiel noch einen Sinn. Aber auch Mo erkannte ihre garstige Stimme hinter dem Bart, schließlich meckerte sie oft genug mit ihm herum, wenn sie ihn sah.
    »Wart ihr denn auch alle brav?«, keifte sie los.
    Mo, Simone und ich nickten höflich, und ich verbiss es mir, »Ja, Frau Kiebig« zu sagen.
    »Du lügst den Nikolaus an, junges Fräulein«, sagte der falsche Nikolaus und fuchtelte drohend mit seiner Rute vor meiner Nase herum.
    »Nein«, beteuerte ich. Wenn, dann log ich die Kiebig an.
    »Der Nikolaus weiß aber, dass die Judith gar kein braves, kleines Mädchen ist«, behauptete die Kiebig.
    »Bin ich doch«, verteidigte ich mich.
    »Bist du nicht, junges Fräulein. Der liebe Nikolaus weint sehr, wenn er sieht, wie böse die Judith ist. Er hat gesehen, wie sie immer mit dreckigen Schuhen die Treppe hinaufgeht, und darüber ist er sehr traurig. Und die arme Mami auch.«
    »Das stimmt ja gar nicht!«, sagte ich empört.
    »Die arme Mami weint immer bitterlich, wenn sie so sehr putzen muss, weil die Kinder niemals Rücksicht nehmen. Die arme Mami denkt, dass du sie gar nicht liebhast«, fuhr die Kiebig rutefuchtelnd fort.
    »Das ist nicht wahr«, protestierte ich erneut.
    »Doch, das ist wahr, und der Nikolaus weiß das. Wenn du weiter so böse zu deiner Mami bist, hat die dich auch bald gar nicht mehr lieb, Judith.«
    »Das stimmt doch nicht«, wiederholte ich völlig verzweifelt.
    »Doch, doch. Der Nikolaus sieht, wie traurig die Mama immer ist, weil du so ein böses, böses Kind bist und niemals deine Schuhe abputzt.«
    »Du lügst!«, klagte ich die Kiebig an.
    »Du ungezogenes, böses Mädchen!«, schimpfte die Alte unbeirrt weiter. »Jetzt versprichst du dem Nikolaus, von heute an immer artig zu sein und deine Mami nicht mehr zu quälen!«
    Da fing ich an zu heulen. Ich fand, dass Frau Kiebig einfach gemein zu mir war.
    Die Alte zog die Kapuze und die Watte vom Kopf und rief! »Aber das ist doch nur die Tante Kiebig!«
    Als ob ich das nicht gewusst hätte! Ich heulte noch lauter.
    »Ein Kind in deinem Alter und noch Angst vor dem Nikolaus! Hat man da noch Töne! So ein Angsthase! Das ist doch gar nicht der Nikolaus, nur die Tante Kiebig, du Heulsuse!«, schrie die Alte ein übers andere Mal.
    Ich mache meinen Eltern heute noch Vorwürfe, dass sie nicht spätestens zu diesem Zeitpunkt den Nikolaus an seinen Haaren zur Tür hinausgeschleift haben, aber meiner Mutter tat die böse Alte immer noch mehr leid als ihr tränenüberströmtes, empörtes Kind. Das Komische an der Geschichte ist, dass mir immer noch jedes kleine Detail im Gedächtnis ist, die anderen sich aber höchstens ganz schwach dieser Episode entsinnen können. Und wenn ich sie nicht von Zeit zu Zeit vorwurfsvoll daran erinnerte, ich wette, sie hätten es schon ganz vergessen.
    Die Wohnung unter
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