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Maenner fuers Leben

Maenner fuers Leben

Titel: Maenner fuers Leben
Autoren: Emily Giffin
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werden.
    Ich denke an meine eigene Mutter, wie ich es jeden Tag tue, oft auch ohne einen so naheliegenden Anlass wie jetzt. Ein Gedanke, der immer wiederkehrt, geht mir durch den Kopf: Wie wäre unsere Beziehung heute, wenn sie noch lebte? Würde ich ihrer Meinung in Herzensdingen misstrauen und absichtlich rebellieren gegen das, was sie für mich wollte? Oder würden wir einander so nahestehen wie Margot und ihre Mutter, die täglich miteinander sprechen? Ich stelle mir gern vor, wir wären Vertraute geworden. Nicht solche, die Kleider und Schuhe tauschen und miteinander kichern (dazu war meine Mutter zu nüchtern), aber doch emotional so eng verbunden, dass ich ihr von Leo und dem Schnellrestaurant erzählt hätte. Von seiner Hand auf meiner. Und davon, wie es mir jetzt geht.
    Ich stückele mir zusammen, was sie vielleicht sagen würde – beruhigende kleine Sätze wie: Ich bin so froh, dass du Andy gefunden hast. Er ist wie ein Sohn, den ich nie hatte. Der andere Junge hat mir nie besonders gut gefallen .
    Alles zu vorhersehbar, denke ich und grabe tiefer. Ich schließe die Augen und stelle sie mir vor, bevor sie krank wurde. Das habe ich länger nicht getan. Ich sehe ihre mandelförmigen, nussbraunen Augen, ganz ähnlich wie meine eigenen, aber die Augenwinkel leicht herabgezogen. Schlafzimmerblick, sagte mein Vater immer. Ich stelle mir ihre breite, glatte Stirn vor. Ihr dichtes, glänzendes Haar, das sie immer in der gleichen, schlichten Bob-Frisur trug, über jeden Trend und jede Ära hinweg, gerade lang genug, um es zu einem kurzen, dicken Pferdeschwanz zusammenzubinden, wenn sie im Haus oder im Garten arbeitete. Die kleine Lücke zwischen ihren Schneidezähnen, die sie unbewusst mit der Hand verdeckte, wenn sie wirklich laut lachen musste.
    Ihr strenger, aber gerechter Blick fällt mir wieder ein – der Blick einer Mathelehrerin an einer ruppigen Gemeindeschule –, und ich höre sie mit ihrem Pittsburgher Dialekt sagen: Hör mal zu, Ellie. Fang nicht an, dieser Begegnung irgendeine verrückte Bedeutung beizumessen, wie du es schon bei der ersten Begegnung mit ihm gemacht hast. Dieses Treffen gerade bedeutet nichts. Nicht das Geringste. Es gibt manchmal Dinge im Leben, die einfach nichts bedeuten .
    Jetzt möchte ich auf meine Mutter hören. Ich möchte glauben, dass sie mir aus weiter Ferne ihren Rat gibt, aber trotzdem merke ich, wie ich einknicke und an jene erste Zufallsbegegnung zurückdenke, damals im New York State Supreme Court in der Centre Street, wohin Leo und ich am selben Dienstag im Oktober als Geschworene bestellt worden waren. Häftlinge, zusammen eingesperrt in einem fensterlosen Raum mit schlechter Akustik, Stahlrohrklappstühlen und mindestens einem Mitbürger, der sein Deodorant vergessen hatte. Es war alles so zufällig und, wie ich lange Zeit törichterweise glaubte, romantisch, gerade weil es so zufällig war.
    Ich war erst dreiundzwanzig Jahre alt, aber ich fühlte mich viel älter; wegen dieser unbestimmten Angst und der Desillusionierung, die einsetzt, wenn man das Sicherheitsnetz des College verlässt und sich unvermittelt in der wirklichen Welt wiederfindet – vor allem dann, wenn man weder Ziele noch einen Plan, weder Geld noch eine Mutter hat. Margot und ich waren gerade im Sommer zuvor nach New York gezogen, gleich nach dem Examen, und sie hatte eine erstklassige Stellung in der Marketing-Abteilung bei J. Crew ergattert. Mir war eine Einstiegsposition bei der Mellon Bank in Pittsburgh angeboten worden, und deshalb hatte ich vorgehabt, wieder nach Hause zu gehen und bei meinem Vater und seiner neuen Frau Sharon zu wohnen, einer lieben, aber etwas billig aussehenden Frau mit großem Busen und zu viel Haarspray. Aber Margot überredete mich, stattdessen mit ihr nach New York zu kommen, und sie hielt mir aufrüttelnde Vorträge über den Big Apple: Wenn ich es dort schaffte, würde ich es überall schaffen. Widerstrebend sagte ich zu, denn den Gedanken, mich von Margot zu trennen, ertrug ich ebenso wenig wie die Vorstellung, zu sehen, wie eine andere Frau mein Zuhause übernahm – das Zuhause meiner Mutter .
    Also beauftragte Margots Vater eine Umzugsfirma, unsere Sachen aus dem Wohnheim hinaufzubringen, spendierte uns beiden einen One-Way-Flug nach New York, und mit seiner Hilfe bezogen wir ein entzückendes Drei-Zimmer-Apartment an der Ecke Columbus Avenue und 79th – sie mit einer nagelneuen Business-Garderobe und einem Kroko-Aktenkoffer, ich mit einem nutzlosen
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