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Mädchen im Schnee

Mädchen im Schnee

Titel: Mädchen im Schnee
Autoren: N Schulman
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glaubte sie es fast selbst.
    Ernst Losjö stand vorm Spiegel in dem großen Schlafzimmer und band sich mit geübten Bewegungen den Schlips. Gabriella würde an seiner Wahl bestimmt etwas auszusetzen haben und sagen, dass ein anderer Schlips viel besser zu ihrem Kleid passen würde. Natürlich hätte er sie zuerst fragen sollen, aber er hatte keine Kraft mehr, sich darum zu kümmern.
    Er musste ihr bald sagen, dass es einfach nicht mehr ging. Dass alles, ihr ganzes Leben zusammen, sinnlos war. Aber jetzt war erst mal Silvester.
    Er zog den Schlipsknoten zurecht und warf sich das Jackett über, kämmte das inzwischen fast völlig graue Haar mit ein paar schnellen Bewegungen und steckte dann den Kamm in die Innentasche zurück.
    Dann blieb er stehen und betrachtete ihr Schlafzimmer, als wäre er zum ersten Mal dort. Das hohe Doppelbett mit dem weißen Giebel, der hellgraue Holzfußboden, die eigens angefertigten Raffrollos aus Leinen. Er wunderte sich immer wieder darüber, wie oft man ein ganzes Haus umdekorieren konnte. Gabriella konnte sich endlos damit beschäftigen, unmoderne Tapeten und abgenutzte Korkbeläge abzureißen oder Holzfußböden zu schleifen und zu lackieren. Alles sollte möglichst authentisch werden, möglichst echt , und doch war das Ergebnis nie mehr als eine Kulisse.
    Ich nehme das Wichtigste mit und gehe für ein paar Nächte ins Hotel, dachte er. Dann suche ich mir in der Innenstadt von Hagfors eine Wohnung. Hedda kann bis auf Weiteres mit Gabriella im Haus wohnen bleiben.
    Doch erst würden sie noch eine Charade spielen, und er würde sich dabei von seiner besten Seite zeigen. Gabriella hatte die Silvestereinladung lange vorbereitet, und die wollte er ihr nicht ruinieren. Unten auf dem Esstisch standen Platten mit fünf oder sechs Sorten Schnittchen, daneben die Sektgläser. Nein, er war schließlich kein Unmensch. Solche Sachen regelt man anständig, dachte er.
    Ernst verließ das Schlafzimmer und ging die breite, zurzeit weiß lackierte Treppe hinunter. Unten im Eingang sah er, wie Gabriella Kerzen in den Lämpchen anzündete, die er zu ihrer großen Freude von Opa Wilhelm geerbt hatte. Sie trug das Seidenkleid mit dem Ausschnitt und hatte ihre langen Haare auf außerordentlich kunstvolle Weise hochgesteckt. Früher hatte er es geliebt, sie so zu betrachten, und dann später in der Nacht alle Haarnadeln herausziehen zu dürfen und das Haar über ihren Rücken fallen zu sehen. Jetzt fand er, dass sie eher einen tragischen Eindruck machte.
    »Wie schön du dich gemacht hast«, sagte er.
    Ich bin schließlich kein Unmensch.
    »Danke.«
    Gabriella blies das Streichholz aus und drehte sich zu ihm um. Die Falte zwischen ihren Augen vertiefte sich.
    »Dein Schlips. Ich dachte …«
    »Jetzt habe ich aber diesen hier an.«
    Ernst ging an ihr vorbei ins Wohnzimmer, wo noch mehr Kerzen brannten und das Kaminfeuer prasselte. Wie konnte ich nur mein Einverständnis zum Kauf dieses Eisbärenfells geben?, dachte er. Wenn ich ihn wenigstens selbst geschossen hätte. Obwohl, nein, auch dann wäre es nicht in Ordnung gewesen.
    Gabriella kam mit einer weiteren Platte auf ihren hohen Absätzen angestöckelt.
    »Wie es Hedda wohl geht?«, sagte sie und stellte die Platte auf dem Esstisch ab. »Wie schön, dass sie endlich mal auf eine Party geht.«
    »Ja, das ist schön«, antwortete Ernst. »Bei wem ist sie noch gleich?«
    »Irgendeine Klassenkameradin, glaube ich. Nur gut, dass Samuel sie fährt.«
    »Holt er sie eigentlich heute Nacht auch ab?«
    »Nein, sie übernachten bei der Klassenkameradin.«
    Ernst nickte und sah aus dem Fenster. »Umso besser –wir kriegen anscheinend noch schlechteres Wetter.«
    Er griff sich eines der Schnittchen und stopfte es ganz in den Mund. Er wusste, wie ärgerlich Gabriella darüber sein würde, aber gerade deshalb konnte er den Impuls nicht unterdrücken.
    Und tatsächlich, Gabriella runzelte wieder die Stirn.
    »Ernst, hör auf! Siehst du nicht, dass es so ungerade Reihen gibt?« Verärgert fing sie an, mit ihren manikürten Fingern die dekorierten Häppchen neu zu ordnen.
    In ihrer Gegenwart bin ich zu einem störrischen Kind geworden, dachte Ernst, zu einem widerspenstigen Halbwüchsigen, der ständig seinen eigenen Willen demonstrieren muss.
    Es klingelte. Gabriella zuckte zusammen und stöckelte zur Küche, während sie gleichzeitig die Schürze ablegte.
    »Mach schon mal auf. Ich komme gleich!«
    Ernst öffnete die Haustür mit einem, wie er hoffte, fröhlichen, etwas
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