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Mädchen im Schnee

Mädchen im Schnee

Titel: Mädchen im Schnee
Autoren: N Schulman
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kommen würden. Die Kollegen dort hatten sicher alle Hände voll zu tun.
    »Seltsam, dass sie auf meine SMS nicht geantwortet hat«, sagte Gabriella.
    »Findest du? Bestimmt hat sie Lustigeres zu tun, als mit ihren alten Eltern zu simsen. Außerdem ist das Netz um diese Zeit sicher überlastet.«
    Ernst trank einen Whisky und schloss die Augen.
    »Glaubst du, dass sie sich betrunken hat?«, fragte Gabriella, die ihm immer noch den Rücken zugewandt hatte.
    »Nicht ganz unwahrscheinlich«, meinte Ernst. »Sie wird bald siebzehn. Und ich bin nicht so naiv anzunehmen, unsere Hedda wäre in diesem Punkt eine Ausnahme.«
    Gabriella drehte sich langsam zu ihm um. In der einen Hand hielt sie ein halbvolles Sektglas, dessen Rand ein Lippenstiftabdruck zierte.
    »Den ganzen Herbst über habe ich mir Sorgen gemacht, weil sie immer nur hier in ihrem Zimmer gehockt hat, und jetzt finde ich es furchtbar, dass sie nicht da ist.«
    »Daran müssen wir uns gewöhnen«, sagte Ernst und erhob sich aus dem Sofa. »Morgen kommt sie wieder nach Hause.«
    »Ja, so ist es«, sagte Gabriella und lächelte verkrampft.

2
    Tore Andersson schaltete das Radio ein und ließ sich am Küchentisch nieder. Während der Percolator auf der Spüle blubberte und zischte, holte er den Kalender heraus, der auf ein paar Rabattcoupons und dem Värmlandsblad von gestern lag. Das kleine, schwarze Buch ließ sich nur schwer öffnen.
    Das digitale Thermometer, ein Weihnachtsgeschenk von Jeanette, das zwischen zwei Usambaraveilchen am Fensterrahmen lehnte, zeigte minus siebzehn Grad. Tore nahm den Kugelschreiber und fing an zu schreiben. Als er fertig war, betrachtete er skeptisch sein zittriges Gekrakel.
    Und das, wo ich in der Schule immer so für meine Schrift gelobt worden bin, dachte er. Aber das war lange her. Vor dem Stahlwerk. Er klappte das Buch zu, blieb noch ein Weilchen sitzen und zeichnete das Blumenmuster des Wachstuchs mit einem krummen Zeigefinger nach.
    Ein neues Jahr, dachte er. Noch eins. Und jetzt sollte er auch noch umziehen. Passend zum neunzigsten Geburtstag im März.
    Der Brief vom Wohnungsamt war in der ersten Adventswoche gekommen. Das Haus wurde abgerissen, das war jetzt endgültig. Die meisten der Nachbarn hatten bereits bei verschiedenen Angeboten für neue Wohnungen angebissen, doch nicht so Tore. Er hatte sich nicht dazu durchringen können, die Wohnung zu verlassen, die seit über fünfzig Jahren sein Zuhause war. Seines und Weras und das der Kinder.
    Die zwei Mietshäuser, die direkt am Wald gestanden hatten, waren schon vor Jahren abgerissen worden. Nur ein paar Straßenlaternen am alten Parkplatz wiesen noch auf die frühere Bebauung hin. Jetzt ragten die schiefen Masten sinnlos aus dem Schnee. Ein Stück weiter stand mitten im Birkengestrüpp ein Schaukelgestell ohne Schaukeln.
    In schlaflosen Nächten empfand Tore die Dunkelheit und das fast leere Haus manchmal als unbehaglich, doch tagsüber dachte er nicht so viel an die Einsamkeit, auch wenn er Birger vermisste, der in der Wohnung gegenüber gewohnt hatte. Und Gösta.
    Ansonsten blieb er für sich. Das hatte er schon immer so gemacht. Aber er war dankbar, dass wenigstens die Wohnung über ihm bewohnt war und immer noch Menschen ein und aus gingen.
    Der Espressokocher verstummte.
    Gerade als Tore sich mit seiner Tasse Kaffee wieder an den Tisch setzte, war von oben ein heftiges Rumsen zu hören. Dann ein Mann, der brüllte, und eine helle Stimme, die etwas Unverständliches jammerte.
    Tore sah zur Decke und wartete auf eine Fortsetzung, doch es war nichts weiter zu hören.
    Ein Zank unter Liebenden, dachte er. Das gehört zum Leben.
    Dann nahm er einen Schluck Kaffee, rückte in einer unbewussten Bewegung seinen Morgenmantel zurecht und schlug die Zeitung vom Vortag auf.
    Ernst Losjö drehte sich im Bett herum, schob sich das Kissen unter den Nacken und schloss die Augen. Das Geklapper von Glas und Porzellan unten in der Küche verursachte ihm Kopfschmerzen.
    War sie wütend? Er horchte noch einmal etwas konzentrierter. Ja, war sie. Jedes Klirren, jede Schranktür, die zugeschlagen wurde, war eine wütende Zurechtweisung, eine wortlose Kommunikation über mehrere Stockwerke hinweg, eine Hier-räume-ich-alles-alleine-auf-während-du- da-oben-pennst-Botschaft.
    Das Schlafzimmer war noch dunkel. Es roch nach Schlaf, Alkohol und Parfüm. Ernst sah auf den Radiowecker. 11 : 03 . Widerwillig schob er die Beine über die Bettkante und setzte sich auf.
    Jetzt wurde unten der
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