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Madita

Madita

Titel: Madita
Autoren: Astrid Lindgren
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der Tiefe des Brunnens zu Madita hinauf. Sie sitzt doch im Brunnen und ist Joseph, der niemals einem Schokoladenjungen den Kopf abgebissen hat,
    und da kommt Madita mit solchen Dummheiten!
    »Das tu ich apselut nicht«, sagt Lisabet.
    »Böses Ding, du!« sagt Madita, und im selben Augenblick fällt ihr Blick auf die Pappscheibe, die sie in der Hand hält: »Kleiner schöner Sklafe zu ferkaufen«.
    »Dann verkauf ich dich eben als Sklave, aber richtig«, sagt Madita. »Genauso wie sie es mit Joseph gemacht haben.
    Dann wirst du vielleicht um Verzeihung bitten, was?«
    »Nein, tu ich apselut nicht«, sagt Lisabet und kneift den Mund zusammen.
    Über solche idiotische Verstocktheit gerät Madita in Wut.
    »Dann bleibst du eben da unten sitzen«, sagt sie und wirft Lisabet das Wurstbrot zu. »Da, iß, denn wenn du Sklave bist, dann kriegst du nie, nie wieder was zu essen, verlaß dich drauf!«
    Lisabet brüllt wie am Spieß, aber um Verzeihung bittet sie nicht.
    Madita wartet eine Weile, ob Lisabet es sich vielleicht doch noch anders überlegt, aber nein, die ist eigensinnig wie ein Esel. Sie heult, aber sie gibt nicht klein bei. Da befestigt Madita das Pappschild an einem Stöckchen, das sie neben dem
    Brunnen ins Gras steckt. Jetzt steht dort das Schild mit der 158

    schrecklichen Aufschrift: »Kleiner schöner Sklafe zu ferkaufen«. Kein Sklavenhändler, der hier entlangkommt, kann es übersehen.
    »Du hast dir’s selber eingebrockt«, sagt Madita und geht weg, um Lisabets Geheul nicht mit anhören zu müssen.
    An ihrem Butterbrot kauend, schlendert sie zum Fluß hinunter.
    Jetzt ist das Wasser gesunken, und auf dem Steg liegt ihre Angelrute. Sie befestigt ein Wurststückchen als Köder daran und setzt sich hin, um zu angeln. Im Wasser schwimmen eine Menge kleine Barsche, aber sie mögen wohl keine Wurst,
    jedenfalls beißt keiner an. Trotzdem ist es so spannend, daß Madita Lisabet darüber völlig vergißt.
    Als sie ihr plötzlich wieder einfällt, zwickt das Gewissen sie. Al ihr Zorn ist verflogen. Sie wirft die Angelrute weg und läuft so schnell, wie sie nur kann, zum Brunnen zurück. Schon von
    weitem ruft sie:
    »Lisabet, ich komme! Sei nicht traurig!«
    Es kommt keine Antwort. Dort unten ist es so merkwürdig still, kein Geheul und kein Geschrei! Und keine Lisabet! Sie ist weg.
    Der Brunnen ist leer. Aber das Schild am Stäbchen ist noch da.
    »Kleiner schöner Sklafe zu ferkaufen« steht darauf. Aber da 159
    steht auch noch etwas anderes mit Blaustift in Blockschrift geschrieben.
    Arme Madita! Warum darf sie nicht in den Erdboden versinken und niemals wieder auftauchen? Was hat sie bloß getan?
    Lieber Gott, laß es nicht wahr sein! Sie hat ihre eigene Schwester als Sklavin verkauft! Und da liegt auch wahrhaftig ein Fünförestück auf dem Brunnenrand! Oh, sie ist schlimmer als Josephs Brüder, denn die haben sich wenigstens ordentlich bezahlen lassen. Fünf Öre! So viel bezahlt man für fünf küm-merliche Bonbons oder zwei Brötchen, aber die ganze Lisabet für ein elendes Fünförestück!
    Madita wimmert und jammert. Oh, was hat sie getan, oh, arme Lisabet! Sie hat ihr ja nur ein bißchen Angst machen wollen.
    Wie konnte man denn wissen, daß plötzlich ein Sklavenhändler hier entlangkommen würde... Aber diese Schurken, die
    riechen es wohl schon von weitem, wo ein kleiner Sklave zu verkaufen ist!
    Madita hockt am Brunnenrand und wimmert nur. Furchtbare
    Bilder tauchen vor ihr auf. Arme Lisabet, da will sie dieser Sklavenhändler zur Arbeit zwingen, aber Lisabet sagt natürlich: »Das tu ich apselut nicht«, und schon fängt die Peitsche an zu tanzen. Oh, arme Lisabet! Und arme Madita, die sie
    verkauft hat! Und arme Mama und armer Papa! Jetzt verlieren sie ihre beiden Töchter auf einmal, denn Madita kann auf gar keinen Fall nach Hause gehen und ihnen erzählen, daß sie
    Lisabet für fünf Öre an einen Sklavenhändler verkauft hat. Nie im Leben! Lieber will sie in den Hultawald hinauswandern und dort vogelfrei leben wie Robin Hood.
    Dort auf dem Brunnenrand liegt noch immer das abscheuliche Fünförestück. Mit einem Schrei schleudert Madita es in den Brunnen. Dann läuft sie laut weinend zur Gartenpforte hinaus.
    160

    Jetzt muß sie in den Wald fliehen, ehe sie zu Hause das
    Entsetzliche erfahren. Aber etwas in ihr weigert sich, sie will nicht in den Wald hinaus. Bald wird es Nacht, und wie soll sie es dann fertigbringen, dort allein zu bleiben? Gibt es denn in der ganzen weiten Welt kein anderes
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