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Madame Bovary

Madame Bovary

Titel: Madame Bovary
Autoren: Gustave Flaubert
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Truthahn bekommst du auch noch jedes
Jahr!«
    Aber als er auf der Höhe angelangt war, wandte er sich um, ganz
wie damals nach der Hochzeit, als er sich nach dem Abschied auf der
Landstraße bei Sankt Viktor noch einmal nach seiner Tochter
umgedreht hatte. Die Fenster im Dorfe glühten wie im Feuer unter
den Strahlen der Sonne, die in der Ebene unterging. Er beschattete
die Augen mit der Hand und gewahrte fern am Horizont ein
Mauerviereck und Bäume darinnen, die wie schwarze Büschel zwischen
weißen Steinen hervorleuchteten. Dort lag der Friedhof….
    Dann ritt er seinen Weg weiter, im Schritt, dieweil sein Gaul
lahm geworden war.
    Karl und seine Mutter blieben bis in die späte Nacht auf und
plauderten, obwohl sie beide sehr müde waren. Sie sprachen von
vergangenen Tagen und von dem, was nun werden sollte. Die alte Frau
wollte nach Yonville übersiedeln, ihm die Wirtschaft führen und für
immer bei ihm bleiben. Sie fand immer neue Trostes- und
Liebesworte. Im geheimen freute sie sich, eine Neigung
zurückzugewinnen, die sie so viele Jahre entbehrt hatte.
    Es schlug Mitternacht. Das Dorf lag in tiefer Stille. Das war
wie immer. Nur Karl war wach und dachte in einem fort an »sie«.
    Rudolf, der zu seinem Vergnügen den Tag über
durch den Wald geritten war, schlief ruhig in seinem Schloß. Ebenso
schlummerte Leo. Einer aber schlief nicht in dieser Stunde.
    Am Grabe, unter den Fichten, kniete ein junger Bursche und
weinte. Seine vom Schluchzen wunde Brust stöhnte im Dunkel unter
dem Druck einer unermeßlichen Sehnsucht, die süß war wie der Mond
und geheimnisvoll wie die Nacht.
    Plötzlich knarrte die Gittertür. Lestiboudois hatte seine
Schaufel vergessen und kam sie zu holen. Er erkannte Justin, als er
sich über die Mauer schwang. Nun glaubte er zu wissen, wer ihm
immer Kartoffeln stahl.

Kapitel 12
     
    Am Tage darauf ließ Karl die kleine Berta wieder ins Haus
kommen. Sie fragte nach der Mutter. Man antwortete ihr, sie sei
verreist und werde ihr hübsche Spielsachen mitbringen. Das Kind tat
noch ein paarmal die gleiche Frage, dann aber, mit der Zeit, sprach
sie nicht mehr von ihr. Die Sorglosigkeit des Kindes bereitete
Bovary Schmerzen. Ganz unerträglich aber waren ihm die Trostreden
des Apothekers.
    Bald begannen die Geldsorgen von neuem. Lheureux ließ seinen
Strohmann Vinçard abermals vorgehen, und Karl übernahm
beträchtliche Verpflichtungen, weil er es um keinen Preis zulassen
wollte, daß von den Möbeln, die ihr gehört hatten, auch nur das
geringste verkauft würde. Seine Mutter war außer sich darüber. Das
empörte ihn wiederum maßlos. Er war überhaupt ein ganz andrer
geworden. So verließ sie das Haus.
    Nun fingen alle möglichen Leute an, ihr »Schnittchen« zu machen.
Fräulein Lempereur forderte für sechs Monate Stundengeld, obgleich
Emma doch niemals Unterricht bei ihr genommen hatte. Die quittierte
Rechnung, die Bovary einmal gezeigt bekommen hatte, war nur auf
Emmas Bitte hin ausgestellt worden. Der Leihbibliothekar verlangte
Abonnementsgebühren auf eine Zeit von drei Jahren und Frau Rollet
Botenlohn für zwanzig Briefe. Als Karl Näheres wissen wollte, war
sie wenigstens so rücksichtsvoll, zu antworten:
    »Ach, ich weiß von nichts! Es waren wohl Rechnungen.«
    Bei jedem Schuldbetrag, den er bezahlte, glaubte Karl, es sei
nun zu Ende, aber es meldeten sich immer wieder neue Gläubiger.
    Er schickte an seine Patienten Liquidationen
aus. Da zeigte man ihm die Briefe seiner Frau, und so mußte er sich
noch entschuldigen.
    Felicie trug jetzt die Kleider ihrer Herrin, aber nicht alle,
denn Karl hatte einige davon zurückbehalten. Manchmal schloß er
sich in ihr Zimmer und betrachtete sie. Felicie hatte ungefähr
Emmas Figur. Wenn sie aus dem Zimmer ging, hatte er manchmal den
Eindruck, es sei die Verstorbne. Dann war er nahe daran, ihr
nachzurufen: »Emma, bleib, bleib!«
    Aber zu Pfingsten verließ sie Yonville, zusammen mit dem Diener
des Notars, wobei sie alles mitnahm, was von Emmas Kleidern noch
übrig war.
    Um diese Zeit gab sich die Witwe Düpuis die Ehre, ihm die
Vermählung ihres Sohnes Leo Düpuis, Notars zu Yvetot, mit Fräulein
Leocadia Leboeuf aus Bondeville ganz ergebenst mitzuteilen. In
Karls Glückwunschbrief kam die Stelle vor:
    »Wie hätte sich meine arme Frau darüber gefreut!«
    Eines Tages, als Karl ohne bestimmte Absicht durchs Haus irrte,
kam er in die Dachkammer und spürte plötzlich unter einem seiner
Pantoffel ein zusammengeknülltes Stück Papier. Er
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