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Madame Bovary

Madame Bovary

Titel: Madame Bovary
Autoren: Gustave Flaubert
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nacheinander
drei Tassen Kaffee.
    Es wäre auch möglich, sagte er sich, daß
sich der Absender in der Adresse geirrt hatte. Er suchte in seiner
Tasche nach dem Briefe, fühlte ihn, wagte aber nicht, ihn noch
einmal zu lesen. Schließlich kam er auf die Vermutung, es sei
vielleicht nur ein schlechter Witz, irgendein Racheakt oder der
Einfall eines Betrunkenen. Und wenn sie wirklich schon tot wäre,
dann müßte er es doch an irgend etwas merken! Aber die Fluren sahen
aus wie alle Tage, der Himmel war blau, die Bäume wiegten ihre
Wipfel. Eine Herde Schafe trottete friedlich vorüber.
    Endlich erblickte er den Ort Yonville. Er kam im Galopp an, nur
noch im Sattel hängend. Er hatte das Pferd mit Schlägen vorwärts
gehetzt; aus den Flanken des Tieres tropfte Blut. Als der alte Mann
wieder zu sich kam, warf er sich unter heftigem Weinen in Bovarys
Arme.
    »Meine Tochter! Meine Emma! Mein Kind! Sag mir doch …«
    Der andre antwortete schluchzend:
    »Ich weiß nicht! Ich weiß nicht! Es ist so schrecklich!«
    Der Apotheker zog sie auseinander.
    »Die gräßlichen Einzelheiten sind unnütz! Ich werde dem Herrn
schon alles erzählen. Da kommen Leute! Würde! Fassung! Man muß
Philosoph sein!«
    Der arme Karl gab sich alle Mühe, stark zu sein. Mehrere Male
wiederholte er:
    »Ja, ja … Mut! Mut!«
    »Na, wenns sein muß!« sagte Rouault. »Ich hab welchen!
Himmeldonnerwetter! Wir wollen unsrer Emma das Geleite geben, und
wenns noch so weit wäre!«
    Die Glocke begann zu läuten. Alles war bereit. Der Zug setzte
sich in Bewegung.
    Rouault und Bovary saßen nebeneinander in den Chorstühlen. Die
drei Chorknaben wandelten psalmodierend vor ihnen hin
und her. Musik brummte. Bournisien in
vollem Ornat sang mit scharfer Stimme. Er verbeugte sich vor dem
Tabernakel, hob die Hände empor und breitete die Arme aus. Der
Kirchendiener hantierte. Vor dem Chorpult stand der Sarg zwischen
vier Kerzen. Karl bekam eine Anwandlung, aufzustehn und sie
auszublasen.
    Er strengte sich an, Andacht zu empfinden, sich zum Glauben an
ein jenseitiges Dasein aufzuschwingen, wo er Emma wiedersehen
würde. Er versuchte sich einzubilden, sie sei verreist, weit, weit
weg und schon seit langer Zeit. Aber wenn er daran dachte, daß sie
dort unter dem Leichentuche lag, daß alles zu Ende war, daß man sie
nun in die Erde scharrte, da faßte ihn wilde Wut und schwarze
Verzweiflung. Und dann wieder war ihm, als empfände er überhaupt
nichts mehr. Er fühlte fich in seinem Schmerze erleichtert, aber
alsbald warf er sich vor, eine erbärmliche Kreatur zu sein.
    Auf die Fliesen der Kirche schlug in gleichen Zeiträumen etwas
wie ein Eisenstab auf. Dieses harte Geräusch drang aus dem
Hintergrund, bis es mit einem Male im Winkel eines Seitenschiffes
aufhörte. Ein Mensch in einem groben braunen Rock kniete mühsam
nieder. Es war Hippolyt, der Knecht vom Goldnen Löwen. Heute hatte
er sein Bein erster Garnitur angeschnallt.
    Ein Chorknabe machte die Runde durchs Kirchenschiff, um Geld
einzusammeln. Die großen Kupferstücke klirrten eins nach dem andern
in der silbernen Schale.
    »Schnell weg! Ich leide!« rief Bovary und warf zornig ein
Fünffrankenstück hinein.
    Der Sammelnde bedankte sich mit einer tiefen Verbeugung.
    Man sang, man kniete nieder, man richtete sich wieder auf… Das
nahm kein Ende! Karl erinnerte sich, daß er mit Emma inder ersten Zeit ihres Hierseins einmal zur Messe
dagewesen war. Sie hatten rechts an der Mauer gesessen… Die Glocke
begann wieder zu läuten. Ein allgemeines Stühlerücken fing an. Die
Sargträger hoben die drei Stangen der Bahre in die Höhe. Man
verließ die Kirche.
    Justin stand an der Tür der Apotheke. Er verschwand schleunigst,
blaß und taumelnd.
    Alle Fenster im Orte waren voller Neugieriger, um den Trauerzug
vorbeiziehen zu sehn. Karl ging voran, erhobenen Hauptes. Er trug
eine tapfre Miene zur Schau und grüßte kopfnickend jeden, der aus
den Gassen oder den Häusern trat, um sich dem Zuge
anzuschließen.
    Die sechs Träger, drei auf jeder Seite, schritten langsam
vorwärts. Sie keuchten. Die Priester, die Sänger und die Chorknaben
sangen das 
De profundis
. Ihre bald lauten, bald
leisen Stimmen verhallten im Feld. Wo der Weg eine Biegung machte,
verschwanden sie auf Augenblicke, aber das hohe silberne Kreuz
schimmerte immer zwischen den Bäumen.
    Die Frauen schlossen sich hinten an, in schwarzen Mänteln mit
zurückgeschlagenen Kapuzen, in den Händen dicke brennende
Wachskerzen. Karl fühlte, wie ihn seine
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